Erlosung
ihm um, suchte auch nicht nach seinem Spiegelbild in den groÃen Fenstern der Boutiquen. Sie hielt den Kopf gesenkt, aber nicht so, dass es auffallen musste. Sie war
wütend und empört, wer bist du, du verlogener ScheiÃkerl, was willst du von mir?
Ãber der HauptstraÃe war der Himmel düster, taubengrau, fast violett. Es wehte kein Wind, und die Hitze nahm Ella den Atem. Auf den Dächern der Autos lag ein weiÃer Glanz. Die Tische vor den Cafés und Restaurants waren sogar auf der Schattenseite der StraÃe leer.
Auf einmal war er neben ihr und ging so schnell wie sie, nicht schneller, nicht langsamer. »Hast du den Verstand verloren?«, fragte er, ohne sie anzusehen. »Willst du dich auch mit einem Strick um den Hals unter dem Balkon deiner Wohnung wiederfinden? Oder mit gebrochenem Genick tief unten auf dem Hinterhof, einen Abschiedsbrief in der Tasche?«
Sie antwortete nicht und sah ihn auch nicht an.
»Wo willst du denn hin?«, fragte er.
Sie ging weiter, nicht schneller, nicht langsamer, wich einem alten Bettler aus, überholte zwei junge Japanerinnen. Er blieb zurück, holte sie etwas später wieder ein. Ein schlanker Jamaikaner stand in der Tür seiner Kneipe, winkte ihr zu, und erst als sie ihn lachen sah, fiel ihr ein, dass sie ihn kannte, Joe, er winkt dir zu, weil er dich erkannt hat. Sie winkte zurück. Du kannst nirgendwohin, jeder erkennt dich, du brauchst ihn, verdammter Mist, du brauchst Dany, der vielleicht nicht mal Dany heiÃt .
Der Franzose überholte sie, ging voraus und blieb vor einem Schaufenster stehen, tat, als betrachte er die Schuhe dahinter. Sobald sie auf seiner Höhe war, schloss er sich ihr wieder an. »Was ist denn auf einmal los mit dir?«, fragte er.
»Wer bist du?«, fragte sie. »Wer, verdammt noch mal, bist du?«
»Mados Bruder, das weiÃt du doch â «
»Mado ist tot, und sie hatte keinen Bruder!«
Der Franzose blieb überrascht stehen.
Ella erreichte die Ecke, bog nach links in die HauptstraÃe
und ging inmitten einer arabischen GroÃfamilie weiter bis zur zweiten FuÃgängerampel, dann zum Zebrastreifen, zum Taxistand am Rasenstreifen in der Mitte der StraÃe. Die Fahrer lehnten an ihren Wagen, die Türen standen weit offen, und über den Motorhauben flimmerte die Luft. Ein zweistöckiger Bus hielt an der Ampel, umgeben von gleiÃendem Blech in der Mittagsglut.
Jetzt war Dany wieder neben Ella, ein neuer Dany, wie verwandelt. »Mado ist tot?«, fragte er. »Woher weiÃt du das?«
Sie antwortete nicht.
»Also gut«, sagte er leise, dicht an ihrem Ohr, »ich gebe zu, ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt. Madeleine war nicht meine Schwester, und ich heiÃe auch nicht Schneider. Mein richtiger Name ist Daniel Montheilet. Alles andere stimmt. Ich bin wirklich Journalist, und Mademoiselle Schneider hat bei uns angerufen, allerdings nicht mich direkt. Die Chefredaktion hat mir den Auftrag erteilt, weil ich gerade eine Story abgeschlossen hatte. Und weil ich Deutsch spreche.«
Sie sah ihn nicht an, wartete darauf, dass die Ampel grün wurde.
»Ich hätte dir das gleich sagen sollen, ich weië, fuhr Dany fort. »Aber vergiss nicht, dass du mir ein Messer an die Kehle gehalten hast. Ich wusste nicht, warum du in Madeleine Schneiders Wohnung gewesen warst, aber ich hatte dich wiedererkannt als die Frau, die mich in der U-Bahn verfolgt hatte. Ich dachte, wenn ich mich als Mados Bruder ausgebe, finde ich schneller heraus, was passiert ist, was für ein Interesse du an ihr hast. Ich musste doch wissen, ob du die Wahrheit sagst. Hättest du mir unter anderen Umständen so schnell anvertraut, dass die Polizei dich für den Täter hält?«
Endlich sah sie ihn an und fragte: »Sag mir eins: Hast du mir wirklich geglaubt, dass ich unschuldig bin oder hast du nur so getan?«
Er zögerte. »Ich habe nur so getan«, gab er zu. »Bis ich die Ãberwachungsfilme gesehen habe.«
Die Ampel wurde grün. Ella ging los, ohne sich darum zu kümmern, ob er ihr folgte. Sie überquerte den Zebrastreifen, stieg in das erste der wartenden Taxis und zog die Tür hinter sich zu. Als Dany von der anderen Seite einsteigen wollte, drückte sie den Knopf für die Verriegelung. Dabei sah sie durch die geschlossene Scheibe zu ihm auf und sagte: »Ich fahre nicht mit fremden Männern im Taxi.«
Und ich glaube dir
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