Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
doch irgendwo gesehen haben? Hat er unterwegs vielleicht getankt? Überprüft seine Kreditkarte. Welche Transaktionen hat er vorgenommen, nachdem er sich von seinem Sohn verabschiedet hat?«
Liv mischte sich ein und fragte, ob es denkbar sei, dass der Vater seinen Sohn angelogen und stattdessen eine Geliebte besucht habe, von der sein Sohn nichts wissen sollte?
Roland schrieb »Geliebte« an die Tafel, gefolgt von einem Fragezeichen.
»Du meinst, dass sein Sohn so sauer darüber war, dass sein Vater wieder wegmusste, dass er eine ganze Woche lang nicht mit ihm telefoniert und deshalb gar nicht gemerkt hat, dass er verschwunden war? Vielleicht war es nicht das erste Mal, dass er längere Zeit bei einer Geliebten war«, ergänzte Roland. »Vielleicht hat er Safet angelogen, um in Frieden mit ihr allein zu sein?«
Liv ging einen Schritt weiter und mutmaßte, dass das Morphin seine Geliebte gewesen war.
»Vielleicht hat er sich abgesetzt, um seine Sucht vor ihm geheim zu halten, oder wusste sein Sohn davon?«, fragte sie. »Vielleicht hat sein Sohn sogar versucht, ihn davon abzubringen? Vielleicht war es gar nichts Besonderes, dass er längere Zeit weg war, wie bei einem Alkoholiker, die verschwinden ja auch oft für Tage.«
»Keine dumme Theorie, Liv.«
Roland schrieb ein Gleichheitszeichen zwischen Geliebte und Morphin. Dann wartete er etwas, damit sich dieser Gedanke bei allen setzen konnte, bevor er sich wieder an Lind wandte und ihn fragte, ob es irgendetwas Neues über den Kalk gäbe, der über die Leichenteile gestreut worden war.
Lind schüttelte nur den Kopf und antwortete, dass es sich um einen ziemlich gewöhnlichen Kalk handelte.
»Ich denke, das ist kein guter Ansatzpunkt«, fuhr er fort, »den kriegt man in jedem Baumarkt.«
Roland wollte keine Zeit mit aussichtslosen Spuren vergeuden und strich das Wort Kalk von der Tafel. Dann wandte er sich an Anette, die ihn lächelnd ansah:
»Ja, mein Lieber?«
»Hast du dir mal Gedanken über das Profil unseres Täters gemacht?«
Sie beugte sich vor und räusperte sich. Dann setzte sie sich die Brille auf die Nase und blätterte in ein paar Unterlagen, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.
»Möglicherweise erzählt uns der Zustand der Leiche, also die Art, wie sie gefunden wurde, eine sehr interessante Geschichte«, sagte sie zur Verblüffung aller.
»In gewissen afrikanischen Ländern, zum Beispiel in Tansania, wo es besonders viele Albinos gibt, werden diesen Menschen magische Kräfte zugesprochen. Während sie hier eine Randgruppe sind, gelten sie dort als Jagdbeute für Verbrecher, die sie ermorden und ihre Körperteile, Haut und Knochen an Schamanen und Quacksalber verkaufen, die fest davon überzeugt sind, dass in den hellhäutigen Albinos magische Kräfte stecken. Die Behörden sind natürlich nicht stolz auf die grausamen Übergriffe, denn diese Mythen halten an einem Bild von Afrika fest, das da unten niemand mehr aufrechterhalten will.«
»Aber in Afrika gibt es doch keine Albinos, oder?«, fragte Carsten. »Ich meine … die sind doch alle … schwarz, oder nicht?«
Er sah die anderen im Raum an.
»Das darf man doch sagen, oder, Neger ist doch verpönt.«
Anette erklärte ihm mit belehrender Stimme, dass es überall auf der Welt Albinos gebe, also auch in Afrika.
»Aber wie gesagt, richtig viele davon gibt es nun einmal in Tansania. Albinos leiden an einer genetisch bedingten Pigmentstörung, durch die ihre Haut milchweiß ist und ihre Haare weiß sind. Infolge der letzten statistischen Daten kommt in Tansania ein Albino auf 3.000 Geburten, während das Verhältnis in den USA 1: 20.000 beträgt und hier in Dänemark nur 1:60.000. In Afrika werden diese Menschen wirklich wie mythische Figuren betrachtet. Die Bevölkerung bezeichnet sie als ›Geister‹.«
»Und was sind das für magische Kräfte, die man ihnen zuschreibt?«, fragte Roland. Anettes Theorie gefiel ihm irgendwie nicht. Er fand sie zu weit hergeholt.
»Medizinmänner verkaufen Haut, Haare und Knochen von Albinos als Mittel, die zu Reichtum führen sollen. In diesen Ländern ist das gleichbedeutend mit guten Ernten oder Erfolg beim Fischen. Häufig werden gerade junge Albinos geopfert«, sagte sie und fuhr mit einer grausigen Geschichte fort, auf die sie gestoßen war. »Eine Mutter aus dem westlichen Tansania hat erzählt, dass ihre siebzehnjährige Tochter von zwei Eindringlingen erschlagen und zerhackt worden sei. Die zwei Täter seien anschließend einfach mit dem
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