Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
über die sie vielleicht früher nie nachgedacht haben, plötzlich wichtig werden. Gleichgültigkeit. Der Alltag wird als langweilig erlebt, und sie sind der Meinung, ihre Umgebung beschäftige sich nur mit unwesentlichen Dingen. Sie befinden sich in einem Zustand, den wir als ›battlemind‹ bezeichnen. ›Battlemind‹ ist die Folge eines täglich sehr hohen Stressniveaus. Daraus ergibt sich eine hormonelle Kettenreaktion mit einer erhöhten Produktion von Adrenalin, Cortisol und Endorphin. Man geht davon aus, dass die Aktivität im Hirnstamm, auch Reptilienhirn genannt, wo die Reaktionszentren für Kampf, Flucht und Frieren sitzen, erhöht ist. Die Denkaktivität ist entsprechend herabgesetzt. Das erhöht die Überlebenschancen in einer Kriegszone, kann nach der Heimkehr aber zu aggressivem Verhalten und Rastlosigkeit führen. Viele Soldaten brauchen Hilfe, um von ›battlemind‹ auf ›homemind‹ umzuschalten.«
Liv konnte sich nur allzu gut vorstellen, dass sich nach einem derart gewaltsamen Erlebnis alles in einem veränderte. Und nicht nur das. Allein der Umstand im Krieg zu sein, immer auf der Hut, war wohl der größte Kontrast zu dem stillen, sicheren Leben, das sie hier zu Hause lebten. Sie hatte von dem Ausdruck »War is a drug” gehört, begann aber erst jetzt, ihn langsam zu verstehen. Wenn Krieg im Gehirn Adrenalin und andere Stoffe freisetzte, konnte man vermutlich davon abhängig werden? Sie begann die Logik darin zu erkennen, warum Soldaten sich für einen erneuten Auslandseinsatz entschieden, auch wenn sie mit fürchterlichen Erlebnissen im Gepäck zurückgekehrt waren. Sie kamen ganz einfach nicht damit klar, wieder zu Hause zu sein.
Währenddessen erklärte Inge Jensen, wie Soldaten typischerweise auf Traumata wie das von Jacob Adamsen reagieren, wenn sie aus dem Krieg nach Hause kamen.
»Es fällt ihnen schwer, sich zu erinnern oder sich zu konzentrieren, und sie reagieren empfindlich gegenüber plötzlichen Geräuschen oder Gerüchen. Oft haben sie Flashbacks, bei denen sie das traumatische Ereignis erneut durchleben. Manchmal im Schlaf, ein anderes Mal am Tag. Silvester ist ein Klassiker, weil Geräusche und Gerüche die gleichen sind wie im Kampf. Ein Trauma ist nicht wie die Trauer über den Verlust eines Kameraden. Es ist ein nicht verarbeitetes Erlebnis, welches die Existenz des Soldaten bedroht hat. Wie zum Beispiel die Bombe am Wegesrand. Hier steht der Soldat dem totalen Verlust der Selbstkontrolle gegenüber. Jemand, der es gewohnt ist, alles kontrollieren zu können oder auf jeden Fall zu wissen, wie er reagieren muss, steht plötzlich einer lebensbedrohlichen Situation gegenüber, auf die er keinerlei Einfluss hat. Er kann schießen oder weglaufen, aber was hilft das, wenn der Feind unsichtbar ist? Nichts, was er während seiner Ausbildung gelernt hat, kann ihm hier helfen. Ungeachtet, ob wir es als Kriegsneurose, Granatenschock oder posttraumatisches Stress-Syndrom bezeichnen, die Symptome sind die gleichen. Unbearbeitet kann so etwas zu langwierigen Krankheiten, Depressionen und in bestimmten Fällen Selbstmordversuchen führen.«
»Ist Jacob Adamsen Ihrer Einschätzung nach in der Lage, einen Mord zu begehen?«, fragte Liv und hörte die Psychologin am anderen Ende der Leitung tief seufzen.
»Ich habe mir schon gedacht, dass die Frage irgendwann kommen wird«, sagte sie und unterstrich, dass sie ihn ganz einfach nicht gut genug kannte, um sie zu beantworten. »Er ist Soldat, also ja. Aber Sie denken dabei wohl an den Mord an einer unschuldigen Zivilperson?«
»Ja.«
Die Psychologin wiederholte, dass sie keine Antwort auf diese Frage habe, diese aus der Bahn geworfenen Menschen aber natürlich leicht die Kontrolle über sich verlören und häufig erst Hilfe suchten, wenn es bereits zu spät war.
»Wir können sie nicht dazu zwingen, zu uns zu kommen. So ist das System leider. Mir war durchaus bekannt, dass es Jacob Adamsen nicht gut ging, als er meine Sprechstunde verließ, aber wie gesagt, ich konnte nichts mehr für ihn tun«, sagte sie und entschuldigte sich mehrfach, das Telefonat jetzt beenden zu müssen. Der Patient, dessentwegen sie heute in der Kaserne war, kam in fünf Minuten. Sie fragte, ob es noch weitere unbeantwortete Fragen gäbe.
Anette sah zu Liv, die den Kopf schüttelte und sagte, die Psychologin sei eine riesige Hilfe gewesen.
Anschließend saßen sie noch ein paar Minuten zusammen und sprachen über das, was die Frau gesagt hatte, über die
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