Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
zusammenhing. Sie wusste nur nicht wie.
»Hat er einen Brief hinterlassen?«
Oberst Bechmann schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Keine Erklärung oder letzte Worte an die Angehörigen?«, fragte Anette.
»Nicht in diesem Fall, nein«, sagte Merete Bechmann. Ihre Hände wollten jetzt nicht mehr ruhig auf dem Tisch liegen bleiben. Sogar Liv sah, dass sie log. Es gab einen Brief, aber warum durften sie davon nichts wissen? Stand etwas darin, was die Armee oder die Frau Oberst selbst in ein schlechtes Licht rückte?
»Ist er im Auslandseinsatz gewesen?«
»Lorentzen?«
»Ja, ist er in Afghanistan gewesen?«
Oberst Bechmann nickte.
»Er war in der gleichen Kompanie wie Adamsen.«
»Aber Sie sind nicht der Meinung, dass sein Selbstmord etwas mit seinem Auslandseinsatz zu tun hatte?«, fragte Liv, während sie versuchte, ihren Ärger zu verbergen. Wenn ihnen Lorentzen nicht aufgefallen war, wie viele junge Männer rannten dann da draußen mit ernsthaften »privaten« Problemen herum, derer sich niemand annahm?
»Nein.«
»Von unserem Standpunkt aus betrachtet wirkt das etwas merkwürdig«, fuhr Liv fort und konnte an Körpersprache und Gesichtsausdruck von Merete Bechmann erkennen, dass ihr Widerwillen wuchs. Natürlich war das ein sensibler Bereich. Vor ihrem Besuch hatte Liv im Netz einen Artikel über die Probleme der Soldaten nach einem Auslandseinsatz gefunden und gelesen. Der Text hatte sie schockiert. Aus ihm war hervorgegangen, dass tatsächlich eine langsame Revolution in der Haltung der Armee gegenüber psychischen Schäden bei Männern nach einem Auslandseinsatz stattfand. Zuvor war es ein Tabu unter den Soldaten gewesen, über psychische Probleme zu sprechen. Angst, Depressionen, Schlafmangel und der Bedarf an psychologischer Hilfe hatten als Anzeichen gegolten, nicht mehr die nötige Distanz zu haben. Erst in den vergangenen Jahren hatte sich die Armee dafür eingesetzt, die überholte Haltung gegenüber psychischen Problemen zu ändern. Heute war das Gespräch mit einem Psychologen nach der Rückkehr von einem Auslandseinsatz Pflicht, und es wurde weit mehr Aufmerksamkeit auf das allgemeine Wohlbefinden der Heimkehrer gelegt. Nichtsdestotrotz hatten 281 der zurückgekehrten Soldaten versucht, Selbstmord zu begehen, mehrere von ihnen mehr als einmal, hieß es in dem Artikel. Elf von ihnen war es leider ge. lungen.
Die Zahl hatte Liv geschockt. 281! Sie sah, dass sich inzwischen ein bisschen was getan hatte, aber es war noch immer ein langer Weg. Dieses Thema war nach wie vor heikel. Umso mehr mussten sie darin herumstochern, dachte sie für sich, bevor sie erklärte, dass es wohl einen Extragedanken wert sei, dass sie hier in der Kaserne zwei junge Männer hatten, die mit der gleichen Kompanie im Auslandseinsatz gewesen waren und dass einer von ihnen Selbstmord begangen hatte und der andere nach einem lebensgefährlichen Fahrmanöver bewusstlos im Krankenhaus lag. Und das beinahe zeitgleich.
»Sind Sie immer noch sicher, dass die Soldaten all die Hilfe bekommen, die sie benötigen?«, fragte sie.
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber es ist einfacher, so zu tun, als wäre alles in Ordnung?«
Merete Bechmann schnaubte, und Liv spürte Anettes Hand auf ihrem Arm.
»Waren sie gute Freunde?«, fragte sie und erklärte, dass sie wusste, dass Jacob bei Christoffer im Krankenhaus gewesen war, als er starb.
Oberst Bechmann sagte, dass sie sich zusammen ein Etagenbett geteilt hatten.
»Das erklärt einiges«, sagte Anette.
Liv seufzte. Konnte Jacob Adamsen Christoffer Lorentzen getötet haben? Und es wie einen Selbstmord aussehen lassen haben? Oder wussten sie beide etwas, das um jeden Preis geheim gehalten werden sollte?
»Jacob Adamsen hat am Samstag ordentlich Prügel bezogen und ist anschließend in die Notfallaufnahme gekommen«, sagte Liv und erwähnte noch einmal, dass Zeugen ausgesagt hatten, er sei von einem anderen Auto, einem Toyota Avensis, gejagt worden, als er am Mittwochabend den Unfall hatte. »Haben Sie irgendeine Idee, wer hinter ihm her gewesen sein könnte? Gibt es Feindschaften unter den Schülern der Schule?«, fragte sie. Oberst Bechmann schüttelte wieder den Kopf und schob ihren Unterkiefer leicht nach vorn.
»Das glaube ich nicht«, sagte sie, während ihre Hände keine Ruhe finden konnten. »Warum sollte es das?«
Das wissen Sie besser als ich, dachte Liv, erklärte aber stattdessen, dass sich zwischen Menschen, die viel Zeit miteinander verbrachten, schnell
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