Erntedank
Türöffner und Kluftinger und Hefele stiegen die grob behauenen Natursteintreppen zum Haus hinauf.
Kluftinger wollte gerade das Hauseck passieren, als ihm ein Basketball vor die Füße rollte. Er hielt kurz inne und dem Ball folgte ein etwa acht- oder neunjähriges Mädchen.
»Oh, zu wem wollen Sie denn? Mein Vater ist nicht da«, begrüßte die Kleine die beiden Beamten und schob gleich eine Frage hinterher. »Wer sind Sie denn eigentlich?«
»Du, wir wollen kurz zu deiner Mama.«
»Ach so, die ist da«, sagte sie und schnappte sich mit einem vorwurfsvollen Blick auf den Kommissar den Ball, den der inzwischen aufgehoben hatte. »Spielst du mit mir?«, fragte sie wesentlich freundlicher in Richtung Hefele, was Kluftinger ärgerte. Mit Kindern konnte er nicht so recht umgehen, er wusste auch nicht wieso.
»Sonst gern, aber jetzt geht das gerade nicht«, erwiderte sein Kollege und erntete von dem Mädchen ein enttäuschtes »Schade!«.
»Na ja, vielleicht ganz kurz«, ließ er sich doch noch erweichen, als er daran dachte, welch schwere Zeit dem Mädchen bevorstand.
Die Kleine ging Hefele und Kluftinger voran zur Haustür, über der ein Basketballkorb angebracht war und vor der ein vielleicht vierzehnjähriger Junge saß. Er hob den Kopf, sah zu den Polizisten auf und grüßte mit einem ernsten »Hallo
«.
Noch eine Halbwaise, dachte Kluftinger und fühlte, wie sein Mund trocken wurde.
»Kommen Sie wegen meinem Vater?«
Am Gesicht des Jungen war abzulesen, dass er durchaus mit einer schlechten Nachricht rechnete.
»Ja, wir müssen mit deiner Mutter reden.«
Der Junge nickte und fragte nicht weiter nach.
In diesem Moment öffnete sich die Haustür, vor der allerdings noch ein Schmiedeeisengitter angebracht war, das Frau Sutter aufschloss.
»Kommen Sie … « Frau Sutter war in den Vierzigern, sehr gepflegt und attraktiv. Sie war schlank, hatte dunkelbraunes, schulterlanges Haar und trug einen dünnen schwarzen Rollkragenpullover. Auf ihrer Brust hing ein großer Bernsteinanhänger an einer Goldkette. Auf Kluftinger wirkte sie wie die Zahnarztfrauen im Fernsehen, die irgendwelche Kosmetika anboten. Frau Sutter passte bei genauerer Betrachtung dann aber doch nicht in dieses Klischee: Sie war blass, um die Augen lagen tiefe Schatten, sie wirkte sehr nervös, fast aufgelöst.
Wortlos geleitete sie Kluftinger ins Wohnzimmer und deutete auf eine honigfarbene Ledercouch, auf der er sich niederließ. Hefele war zurückgeblieben, um wenigstens ein paar Körbe mit der Kleinen zu werfen.
»Endlich! Es wird wirklich Zeit, dass sich mal jemand um die Sache kümmert. Das ist ja bodenlos, mein Mann ist verschwunden und keiner fühlt sich dafür zuständig!«
Damit hatte Kluftinger nicht gerechnet: Sie wollte nicht etwa zuerst wissen, ob man etwas über ihren Mann herausgefunden hatte, sie beschwerte sich vielmehr lautstark über die Trägheit der Polizei. Und damit war sie noch nicht fertig.
»Was meinen Sie, wie es mir geht? Können Sie sich das vorstellen? Und die Kinder fragen, was mit ihrem Papa ist. Wir machen uns solche Sorgen, verstehen Sie das? Wir haben Angst!« Frau Sutter hatte sich in Rage geredet, ihre Tonlage stieg mit der Lautstärke.
»Tun Sie doch endlich was«, schrie sie schließlich heraus, bevor sie heftig zu weinen begann.
»Frau Sutter, beruhigen Sie sich bitte, wir sind ja jetzt da.«
»Jetzt, ja, jetzt, nach ewiger Zeit mal.«
Kluftinger war nicht wohl. Er hatte beinahe Angst. Vor hysterischen Frauen, das wusste er, musste man sich in Acht nehmen. In dem Zustand, in dem Frau Sutter sich befand, konnte man nicht vorhersagen, wie sie als Nächstes reagieren würde.
»Hätten Sie vielleicht ein Bild Ihres Mannes?«
Wortlos, die Lippen aufeinandergepresst, ging sie zu einem weißen Sideboard, auf dem ein großes Foto in einem Edelstahlrahmen stand. Ohne ihn anzusehen, reichte sie es ihm.
Es war der Moment der Gewissheit: Das Foto zeigte das Mordopfer mit seiner Frau und den beiden Kindern, die er im Garten gesehen hatte, am Markusplatz in Venedig. Jetzt wurde es ernst.
Wie sollte er dieser Frau nur die Wahrheit sagen, ohne dass sie völlig zusammenbrach? Er war Polizist, klar, aber im Überbringen von Todesnachrichten hatte er wenig Übung. Er hätte sich besser gefühlt, wenn sein Kollege das übernommen hätte.
Verzweifelt und ein wenig beschämt über seine schwach ausgeprägten psychologischen Fähigkeiten, fing er an: »Frau Sutter, ich muss Ihnen eine traurige Mitteilung
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