Erntedank
machen.« Noch bevor er beim Wort traurig angekommen war, verfluchte er sich innerlich dafür. Was ihn aber völlig überraschte, war die Reaktion der Ehefrau.
»Tot? Er lebt nicht mehr, oder? Autounfall?«
Auf einmal war Frau Sutter gefasst, wischte sich die Tränen ab, setzte sich ruhig an den Esstisch in der anderen Ecke des Wohnzimmers.
»Warum hat man ihn nicht gefunden, wenn etwas mit dem Auto passiert ist?«
Kluftinger konnte nicht einmal gleich reagieren, so perplex war er. Er sah die Frau einen Augenblick entgeistert an.
»Kein Unfall, Frau Sutter.«
Die Türglocke tönte. Ausgerechnet jetzt kam der Depp!
»Mein Kollege, ich … «
»Jacqueline, die Tür!«
Noch ein Kind? Kluftinger wurde ganz heiß. Es wäre ihm nicht unrecht gewesen, wenn er selbst aufstehen und zur Tür hätte gehen können.
»Warum kein Unfall? Was ist passiert? Sagen Sie endlich, was ist denn los?«, drängte ihn die Frau unruhig.
»Wir müssen annehmen, dass Ihr Mann einem Verbrechen … «
»Verbrechen? Mein Gott!«
Hefele betrat den Raum, gefolgt von einem jungen Mädchen, das aber sofort wieder hinausging.
»Hefele, entschuldigen Sie … «, wollte sich der Polizist vorstellen, Kluftinger bedeutete ihm aber mit einer Geste, dass dies nun nicht angebracht wäre. Schnell setzte er sich neben seinen Chef. Der begann erneut:
»Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde Ihr Mann umgebracht, Frau Sutter.«
Kluftinger sah zu ihr hinüber. Sie sah ihn starr an und schüttelte den Kopf.
»Nein«, versetzte sie bestimmt. »Nein, da müssen Sie sich täuschen. Gernot kann nicht … «
»Wir haben ihn gerade in der Nähe von Hirschdorf tot aufgefunden und glauben Sie mir, alles deutet auf ein Verbrechen hin.« Kluftinger wollte der Frau zumindest heute noch die Einzelheiten zum Tode ihres Ehemanns ersparen. Frau Sutter stützte ihren Kopf in die Hände und begann wieder zu weinen. Dem Kommissar bot sich eine Pause, in der ihm ein Bedürfnis bewusst wurde, das er unterdrückt hatte, seit er in dieses Haus gekommen war. Jetzt aber wurde es beinahe übermächtig: Wenn er nicht sofort auf die Toilette käme, würde es einen weiteren Wasserschaden an diesem Tag geben. Aber er konnte unmöglich eine Frau, die gerade vom Mord an ihrem Mann erfahren hatte und so bitterlich weinte, mit einer so profanen Frage wie der nach dem Klo behelligen. Nervös rutschte Kluftinger hin und her. Er begann zu schwitzen. Er suchte Blickkontakt zu seinem Kollegen, der aber gerade in die andere Richtung sah.
»Gsst!« Hefele reagierte nicht. »Gssst!«, gab der Kommissar nun etwas lauter von sich. Hefele drehte sich um, während Frau Sutter den Kopf weiterhin in ihren Händen vergraben hatte. Mit zusammengezogenen Brauen zuckte Hefele fragend mit den Schultern.
»Mss bisln!«, zischte der Kommissar.
Hefele runzelte die Stirn.
»Mss bisln!«, wiederholte Kluftinger. Sein Kollege hatte noch immer nicht verstanden. Hefele rutschte zu seinem Chef, so dass dieser ihm ins Ohr flüstern konnte: »Ich muss zum Biseln, aber schon dermaßen dringend! Ich lass euch kurz allein. Weißt du, wo hier ein Klo ist?«
Frau Sutter sah auf und sagte mit monotoner, brüchiger Stimme: »Nach dem Eingang, die erste Türe rechts«, und ließ den Kopf wieder in die Hände fallen.
»Oh, danke«, hauchte Kluftinger, dessen Gesichtsfarbe sich innerhalb einer einzigen Sekunde in ein leuchtendes Rot verwandelt hatte, und fügte in Gedanken ein ›Kreuzkruzifix‹ hinzu. Ihm war so schnell nichts peinlich, aber das hätte es jetzt nicht gebraucht. Hätte er sich ja auch denken können: In vielen Häusern war die Toilette die erste Türe nach dem Eingang.
Andererseits … die Frau hatte im Moment andere Probleme, als sich über den Kommissar zu wundern, beruhigte er sich selbst. Und schließlich konnte er nicht einfach in einem fremden Haus herumlaufen und das Klo suchen. Er erhob sich leise und verließ den Raum.
Als er das Wohnzimmer des Mordopfers wieder betrat, saß Hefele mit Frau Sutter am Esstisch auf der mit Sicherheit maßgefertigten Eckbank aus hellem Holz, die nahtlos in die Ofenbank überging, die wiederum zu einem alten Kachelofen gehörte. Kluftinger fiel der Ofen auf, weil sie damals, als sie ihren nachträglich hatten einbauen lassen, keinen alten bekommen hatten und neue Industriekacheln verwenden mussten. Stil hatte der Sutter, keine Frage. Zeitlos schön war auch die Eckbank, in deren Zentrum ein großer, quadratischer Tisch stand, wie man ihn früher in
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