Erntedank
Nun war er doch ins Imperfekt abgerutscht. Wenn das mal gut ging.
»Ob er Feinde hat? Hatte … Feinde, Sie meinen, ob … «, war alles, was sie herausbrachte, bevor ihre Stimme in Tränen erstickte.
Priml, dachte sich Kluftinger, das haben wir ja wieder gut hingebracht. Er verzieh sich aber den kleinen Fehler. Wenigstens hatte er nun einige Dinge erfahren. Er gab Hefele ein Zeichen, dass es nun an der Zeit war, abzubrechen. Der ging auf die Witwe zu, legte ihr eine Hand auf die Schulter und fragte in leisem Ton, ob sie jemanden hätte, der sich um sie und die Kinder kümmern könnte.
Ihre Eltern wohnten in Bechen, fünf Minuten zu Fuß entfernt, stammelte Frau Sutter.
Kluftinger ging in den Hausgang. Er suchte Jacqueline, das Aupair-Mädchen. Sie war nicht zu sehen. »Fräulein Jacqueline? Hallo?«, rief er.
Wenig später öffnete sich die Küchentür und Jacqueline trat heraus. Kluftinger schätzte sie auf etwa achtzehn Jahre. Der Kommissar wurde beinahe verlegen. Nicht, dass sie eine ausgesprochene Schönheit gewesen wäre. Sie hatte sogar eine leichte Hakennase. Aber in ihrem Wesen lag Charme. Sie hatte eine sportliche Figur, schulterlanges, braunes Haar und strahlte ihn aus tiefblauen Augen an.
»Msjö?«
Er wollte ihr etwas in ihrer Sprache erwidern, aber Französisch kannte er nur aus Filmen. »Bonndschur«, fiel ihm ein, als er aber am fragenden Blick des Mädchens erkannte, dass sie ihn nicht verstanden hatte, wurde er rot und fügte schnell sachlich hinzu: »Mein Name ist Kluftinger, von der Polizei. Es ist etwas mit Herrn Sutter passiert, aber das soll Ihnen Frau Sutter selbst erklären. Können Sie bitte ihre Eltern verständigen?«
»Die Öltarn von Sophie? Isch rufe sie gleisch an, Msjö«, sagte das Mädchen, das etwas erschrocken wirkte.
Der Kommissar fand ihren Akzent zum Niederknien. Er kam sich unbeholfen vor, weil er nicht einmal ein französisches Wort herausgebracht hatte, und – was noch schlimmer war in diesem Moment – er fühlte sich alt. Vor dreißig Jahren, ja, da hätte er auf Teufel komm raus mit dem Mädchen geflirtet. So beschränkte er sich aber auf ein verlegenes Lächeln und ein »Vielen Dank, Fräulein Jacqueline«. Erst als sie bereits am Telefon war, fiel es ihm ein: Merci. Das kannte er. Er drehte sich noch einmal um, doch die junge Französin sprach bereits. Er senkte den Kopf und ging zurück ins Wohnzimmer.
***
Als Kluftinger etwa eine Stunde später in Altusried den Passat in seine Hofeinfahrt lenkte, merkte er erst, wie sehr ihn dieser Tag geschafft hatte. Dabei war er nicht einmal besonders lang gewesen. Aber der furchtbare Anblick hatte ihm eine Seite seines Berufes offenbart, die er bisher nicht kennen gelernt hatte. Je mehr er versuchte, die Erinnerung wenigstens für einen Augenblick loszuwerden, desto öfter sah er das grausige Bild der Leiche mit der toten Krähe vor sich.
Er stellte sein Auto vor der Garage ab und ging langsam zur Eingangstür. Er hoffte, dass Erika mit dem Wasser klargekommen war, denn er wollte nur noch ins Bett. Als er die Tür aufschloss, wurde ihm aber sofort klar, dass daraus so schnell nichts werden würde. Das erste, was er erblickte, waren zwei Koffer, die mitten im Hausgang standen. Darauf lag zusammengefaltet Erikas Mantel.
Sofort fühlte er sich schuldig. Hätte er sie doch nicht so einfach allein lassen sollen? O je, das würde wieder Hundeblicke, Engelszungen und Geduld brauchen, bis das in Ordnung gebracht wäre. Dabei standen ihm eben diese Mittel gerade jetzt nicht zur Verfügung.
Er hörte, wie die Tür zum Schlafzimmer geöffnet wurde. Gleichzeitig fühlte er, wie sein Herz schneller schlug und die Äderchen auf seinen Wangen sich mit Blut füllten.
Noch bevor seine Frau im Hausflur zu sehen war, setzte er schon zu einer Entschuldigung an: »Erika? Erika, horch, ich meine, das war … « Reiß dich zusammen!, schrie er sich in Gedanken an. Seine Frau hatte es über die Jahre geschafft, ihn in solchen Fällen zu einem stotternden Kleinkind zu degenerieren.
Als sie um die Ecke bog, ballte er die Hände in seinen Taschen zu Fäusten zusammen. »Also, das war so … «
Weiter kam er nicht. Seine Frau ging auf ihn zu, nahm seinen Kopf in beide Hände, gab ihm einen Schmatz auf den Mund und sagte: »Gut, dass du endlich da bist. Ich hab schon alles arrangiert.«
Jetzt war er baff. Seine Frau war offenbar überhaupt nicht sauer. Und er hätte sich beinahe bei ihr entschuldigt. Hätte ihr sein schlechtes
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