Ernten und Sterben (German Edition)
diesen Mist verzapft hat?« Müller Eins hielt die aktuelle Ausgabe der Landeszeitung in die Luft.
»Hier!«, sagte Egon-Erwin und hielt ebenso theatralisch Gunnars Einverständniserklärung hoch. »Der Zeuge hat aus freien Stücken berichtet und ist damit einverstanden, dass seine Story veröffentlich wird. Inklusive der Fotos selbstverständlich.«
»Wo ist dieser Zeuge jetzt?«, fragte Müller Eins.
»An einem sicheren Ort.« Egon-Erwin verschränkte die Arme.
»Wo ist dieser Zeuge jetzt?«
»Sie können dieselbe Frage tausendmal stellen und werden immer dieselbe Antwort bekommen.«
»Wir wollen doch dasselbe wie Sie auch, Herr Wutke. Den Täter überführen und seiner gerechten Strafe zuführen.« Müller Eins sah Egon-Erwin mit ihren rehbraunen Augen treuherzig an.
Der konnte seinen Blick nicht von den blutrot geschminkten Lippen und dem perfekten Weiß ihrer makellosen Zähne abwenden. Müller Eins war das fleischgewordene Sexsymbol aller reifen Männer. Ein Vollweib mit Erfahrung und Esprit. Egon-Erwin hätte viel für ein romantisches Dinner mit der Dame gegeben, wäre sie nicht eine Beamtin mit Pensionsberechtigung und der Lizenz zum Töten.
»Sie brauchen gar nicht Ihre Truppen in Richtung Klein-Büchsen zu schicken. Gunnar ist längst in meinem speziellen Zeugenschutzprogramm.« Egon-Erwin bluffte natürlich, weil er wusste, dass der Zeuge bei Albertine sicher untergebracht war.
Doch Müller Eins verlor die Geduld und stöckelte gen Ausgang, bedrängt von Müller Zwo, der pausenlos auf sie einredete. An der großen Flügeltür genügte ein kurzer Bodycheck der durchtrainierten Kommissarin, um ihren Kollegen zur Seite zu schubsen. Müller Zwo knallte gegen den Türrahmen und blieb benommen liegen. Irgendwo im Hintergrund war aus der Redaktion ein gehässiges Kichern zu hören, dann wurde Müller Zwo kurz ohnmächtig. Egon-Erwin nutzte das Überraschungsmoment und machte sich aus dem Staub.
Albertine und Hubertus standen vor dem Bungalow von Matze Hansen, der den verblichenen Charme der siebziger Jahre ausstrahlte.
»Ob der auch einen Keller hat?«, fragte Albertine und betrachtete nachdenklich das Fundament des Bungalows.
»So langsam wirst du mir unheimlich«, sagte Hubertus. »Nicht jeder im Dorf ist jetzt zwangsläufig auch ein Verdächtiger. Matze Hansen ist ein ehrenwerter Mann. Er hat das Bauamt der Kreisstadt geleitet und Millionen Steuergelder verwaltet. Der kann ja wohl nicht vollkommen durchgeknallt sein.«
»Warum wohl sind stille Wasser tief? Du bist ein Träumer.« Albertine machte den ersten Schritt auf das Gelände.
»Deswegen muss aber nicht jeder Single im Dorf einen Keller haben, in dem er seine Opfer foltert.«
»Schnickschnack.« Albertine wirkte seltsam gut gelaunt, offensichtlich machte ihr die Spurensuche Spaß. Sie drückte auf den Klingelknopf, es erklang die Titelmelodie aus dem Film »Roter Drache«. Sie drehte sich mit einem triumphierenden Lächeln um. Hubertus konnte nur ungläubig auf die sich öffnende Tür starren.
Matze Hansen war ein hässlicher Mensch, geradezu ein Quasimodo ohne Buckel. Wie ein fleischgewordenes Fragezeichen stand er in der Haustür.
»Dürfen wir Sie einen Moment stören?«, frage Albertine.
Hubertus flüsterte ihr von hinten zu: »Ab sofort nenne ich dich Esmeralda.«
Matze sagte nichts, was Albertine nicht zu wundern schien. Hubertus folgte den beiden in den Wohnbereich, der nur mit einem Sessel, einem monströsen Flachbildschirm und einer sündhaft teuren Dolby-Surround-Anlage eingerichtet war. Matze sah sich offensichtlich gerade eine Dokumentation an, die den Wald zum Thema hatte.
»Das grüne Wunder.« Matzes Stimme klang wie die eines Fünfzehnjährigen.
Für einen ambitionierten Politiker fehlte ihm das Charisma, oder war die Hässlichkeit des Kreistagsabgeordneten nur Tarnung? Albertine schaute sich sein Gesicht unhöflich genau an und schien zu überprüfen, ob seine Augenbrauen zusammengewachsen waren. Hubertus wusste, dass sie als Studentin ein Fan der feministischen Autorin Angela Carter gewesen war und deren Story »Zeit der Wölfe« verschlungen hatte. Wahrscheinlich dachte sie jetzt, Matze wäre ein Werwolf.
»Hör jetzt bloß auf, auch nur einen Gedanken an Werwölfe zu verschwenden. Angela Carter war eine Märchentante«, sagte Hubertus, als Matze Hansen in der Küche nach Mineralwasser suchte.
Mit drei Dosen eines isotonischen Szene-Getränks kam er zurück. »Hatte nichts anderes im Kühlschrank. Ich weiß ja,
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