Ernten und Sterben (German Edition)
dass Sie mehr auf Bio-Limonade stehen und nicht auf so etwas Künstliches.« Hansen wurde gesprächiger. »Was wollen Sie von mir? Ich unterschreibe keine Petition gegen die neue Durchgangsstraße.«
»Keine Angst, die werden wir auf anderem Weg zu verhindern wissen.« Hubertus richtete sich zu voller Größe auf, um Eindruck zu schinden.
»Na klar, und damit Ihr Freund Wutke, dieser Schmierenjournalist, eine neue Aufmacher-Geschichte bekommt, werden Sie mir jetzt den Kopf abschneiden und auf meine Brust ein gotisches H ritzen. Nur zu, ich habe nichts zu verlieren. Meine Frau hat mich verlassen, meine Kinder verachten mich, meine politischen Gegner im Kreistag nennen mich Quasimodo, und im Dorf bin ich nur geduldet.« Matze Hansen riss kraftvoll den Verschluss seiner Dose auf und trank sie auf ex aus.
»Keine Angst, ich werde Sie auch nicht fragen, ob Sie einen Keller besitzen«, sagte Albertine eindeutig zweideutig. »Mich würde eher interessieren, warum Sie sich mit Gunnar geprügelt haben.«
Die Frage löste bei Hansen nur ein Achselzucken aus. »Keine Ahnung. Ich vertrage keinen Alkohol, und Gunnar hat mich gereizt. Außerdem hatte er mich ja nicht mal getroffen, sondern Sören ins Gesicht geschlagen.«
»Da ist doch diese Geschichte mit dem Pferd vom Bürgermeister«, sagte Hubertus. »Warum haben Sie Gunnar damit provoziert?«
»Weil der Bürgermeister ein guter Freund von mir ist und ein Gedächtnis wie ein Elefant hat. Das wurmt ihn schon lange, aber auch er will ja wiedergewählt werden, also hält er die Füße still. ›Rache ist Blutwurst‹, sagt er immer. Aber er ist kein abgedrehter Killer. Auch wenn ihm die vielen zugereisten Städter ganz schön gegen den Strich gehen. Aber das ist doch hier in Klein-Büchsen ein offenes Geheimnis.« Hansen ließ sich in seinen Fernsehsessel fallen, offensichtlich, um die Dokumentation zu Ende zu sehen.
Albertine und Hubertus blieben ein paar Minuten ratlos stehen, dann verließen sie das Haus. Die halb ausgetrunkenen Dosen landeten im Mülleimer.
»Der war es nicht. Das wäre zu einfach. Wir sollten uns mal beim Bürgermeister umsehen«, sagte Albertine, als sie zurück zu ihrem Haus gingen.
In diesem Moment schrillte der Klingelton von Hubertus’ Handy, und Albertine zuckte heftig zusammen. »Diese Dinger nerven. Das ist akustische Umweltverschmutzung. Stell das leise«, herrschte sie Hubertus an.
Hubertus antwortete nicht, sondern ließ den Mund offen stehen. Erst nickte er, dann schüttelte er ungläubig den Kopf. »Egon-Erwin ist an einem neuen Tatort. Da wurde eine Kuh geschlachtet. Das ganze Dorf scheint da zu sein nebst Bürgermeister.«
»Kühe werden hier laufend geschlachtet. Aber es gibt nur zwei Bauern, die bei uns in Frage kommen. Strunk oder Schlüter?«, fragte Albertine.
»Schlüter, der züchtet die Schwarz-Weißen. Wie heißen die noch mal?«
»Holstein-Rind, ideal für die Milchproduktion. Du hast in den letzten Jahren aber auch nichts über deine neue Heimat gelernt. Aber warum fotografiert Egon-Erwin eine Hausschlachtung?«
»Das kannst du dir gleich selbst anschauen. Die nächste Titelseite ist ihm sicher.« Hubertus schlug den direkten Weg über die Felder zum Gutshof der Schlüters ein.
»Könntest du bitte etwas langsamer gehen?« Albertine stolperte hinter ihm her. »Meine Absätze sind zu hoch, und ich verliere gleich meine Pumps.«
»Du hast in den letzten Jahren aber auch nichts über deine neue Heimat gelernt«, äffte Hubertus Albertine nach. »Festes Schuhwerk ist in diesen Breiten ein Standard. Das weiß jedes Kind. Außerdem ist die Kuh noch nicht geschlachtet, sie hängt nur dekorativ herum. Aber das kannst du dir gleich selbst ansehen, wenn wir es schaffen, zeitig den Hof zu erreichen.«
Albertine war jetzt wirklich übellaunig, zog ihre Schuhe aus und stapfte in Strümpfen hinter Hubertus her.
Am anderen Ende des Felds war schon der mit viel Liebe zum Detail renovierte Dreiseiten-Bauernhof aus dem 19. Jahrhundert mit seinen Stallungen zu sehen. Drei Hektar Weideland gehörten dazu sowie mehrere Hektar Wald in unmittelbarer Nähe. Vor dem Hof parkten Trecker aller Art, außerdem geländegängige Fahrzeuge und ein einsamer grüner Streifenwagen der Polizei.
Albertine hatte eher so etwas wie Volksfeststimmung erwartet, aber die Bewohner von Klein-Büchsen sahen betreten zu Boden oder hatten eine Begräbnismiene aufgesetzt. Nur aus dem Kuhstall drang das merkwürdige Brüllen der Herde, die ihren Verlust
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