Ernten und Sterben (German Edition)
Leider konnte er keinen Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen. Mel Gibson hatte ihm das Handy weggenommen und auf den Acker geworfen. Hätte er doch nur noch weiter mit Anna geflirtet. Aber Mel Gibson hatte sich einfach dazugestellt, ihn auf ein Bier eingeladen, und die beiden hatten ihre Becher auf ex geleert. Zehn Minuten lang konnte er Anna noch mit Geschichten aus seiner Zeit als Banker beeindrucken, dann wirkten die K.-o.-Tropfen, und ihm wurde übel. Mel Gibson entschuldigte sich, murmelte irgendetwas von »nicht in Übung« und führte ihn zum Rand des Festplatzes. Lisa und Gunnar kamen vorbei und machten sich lustig, weil diesmal nicht Gunnar im Straßengraben gelandet war, sondern der feine Herr aus der großen Stadt. Danach war der Film endgültig gerissen.
»Wie schmeckt Ihnen der Tee?«, fragte der Jäger.
»Vorzüglich. Ich vermute, dass er aus dem Teegarten Oaks in Darjeeling stammt. Wenn ich mich nicht irre, wird dort nach den Biogeboten produziert.« Albertine nahm einen zweiten Schluck. »Er schmeckt so rein und wohltuend, dass ich wohl kaum Betäubungsmittel welcher Art auch immer in diesem edlen Getränk vermute.«
»Wo denken Sie hin?« Mel Gibson hob abwehrend beide Hände. »Ich hätte da noch etwas Feingebäck zur Stärkung. Darf ich es Ihnen servieren.«
»Gerne, wenn es keine Mühe macht.« Albertine streckte absichtlich den kleinen Finger zur Seite, als sie die zierliche Tasse auf den Untersetzer stellte. Ich benehme mich wie eine affektierte alte Jungfer, ging ihr durch den Kopf.
Der Schritt des Jägermeisters war auch noch im Flur zu hören. Er schien alle Zeit der Welt zu haben und genoss es offensichtlich, Albertine auf die Folter zu spannen. Die Wartezeit schien ihr immer länger zu werden. Sie stand auf und blickte aus dem Fenster. Egon-Erwin schien wie vom Erdboden verschluckt, genau wie Hubertus. So langsam schwante ihr nichts Gutes. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Da bemerkte sie in der Spiegelung der Scheibe einen dunklen Schatten.
»Eigentlich suchen Sie doch mich.«
Albertine drehte sich rasch um. Horst Wild stand in der Tür, zumindest nahm sie das an, denn er hatte sich wieder als Anonymous verkleidet. Sein Gesicht war unter der grinsenden Maske verborgen, hinter der auch die hohe Stimme dunkler klang. In der rechten Hand hielt er sein Bajonett, das wie ein Phallussymbol wirkte. Mit der Linken winkte er Albertine, näher zu ihm zu kommen.
»Trauen Sie sich ruhig heran und genießen Sie den Geruch des Todes. Lange werden Sie dazu nicht mehr die Möglichkeit haben.«
»Sie haben das Feingebäck vergessen, Herr Wild. Das finde ich ausgesprochen unhöflich.« Ohne mit der Wimper zu zucken, setzte sich Albertine wieder in ihren Ohrensessel. »Ihre Mutter hat Ihnen wohl kein Benehmen beigebracht.«
»Meine Mutter war eine Hure, die es mit jedem Schwanzträger im Dorf getrieben hat. Räudige Hunde haben sie auch geil gemacht. Das nennt man wohl heute Zoophilie. Und dann hat sie meinen Vater verlassen.« Die fistelige Stimme von Horst Wild wurde erregter. »Ist nachts abgehauen mit irgendeinem Staubsaugervertreter. Wahrscheinlich hat sie die Dinger auch noch missbraucht. Sie war ekelhaft, abstoßend, erbärmlich. Und sie sah genauso aus wie Sie!« Bei den letzten Worte stieß er das Bajonett theatralisch in die Höhe.
»Soll ich jetzt die Kekse essen oder Ihnen einen runterholen?«, fragte Albertine, die sich in Gedanken vor sich selbst entschuldigte. »Wo haben Sie denn Ihre Gewaltphantasien die ganze Zeit ausgelebt? Bei diesem Hass hätten Sie doch in null Komma nichts Klein-Büchsen und Groß-Büchsen vernichten können.«
Egon-Erwin lag mittlerweile im Flur des Forsthauses und hatte die Videofunktion der Kamera eingeschaltet. Zwar konnte man den Killer nur von hinten und meist nur halb sehen, aber seine unverwechselbare Stimme wurde auf der Speicherkarte verewigt.
»Was bedeutet eigentlich dieses altmodische H, das Sie Ihren Opfern einritzen?«, fragte Albertine. »Bei der gekreuzigten Kuh muss das ja endlos gedauert haben.«
»Jah ni briggais uns in fraistubnjai, ak lausei uns af þamma ubilin«, zitierte der Jäger mit beachtlichem Pathos.
»Das klingt ja sehr schön und stammt sicher aus dem Gotischen.« Albertine hielt kurz inne. »Aber was will der Dichter uns damit sagen?«
»›Und nicht bringe uns in Versuchung, sondern löse uns ab dem Üblen.‹ Machen Sie sich einfach einen Reim darauf«, antwortete der Killer.
Albertine ließ nicht locker. »Bevor Sie
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