Ernten und Sterben (German Edition)
getrunken und liegt mit Gunnar zusammen im Straßengraben.« Clementine stellte Hubertus eine Tasse mit grünem Tee hin. »Ich habe mal etwas Shincha Kabuse Yamato aufgesetzt. Das ist der Klassiker.« Sie schenkte Hubertus ein aufmunterndes Lächeln.
»Mit ausgerenkter Schulter im Straßengraben? Mein Bruder hat zwar eine Macke, aber er ist nicht vollkommen verblödet.« Hubertus schüttelte den Kopf. »Nein. Ihm ist da irgendwas dazwischengekommen.«
»Das ›Irgendwas‹ heißt Anna.« Egon-Erwins tiefe Stimme kam von der Tür. Er war mittlerweile auch eingetroffen. »Ich habe Fotos von den beiden, wie sie herumknutschen. Vielleicht hat ihn Sören danach zu Suppe gemacht.« Er klickte an seiner Kamera herum und suchte offensichtlich nach dem optischen Beweis der nächtlichen Knutscherei.
»Kann ich mir nicht vorstellen, dass Sören sich mit Friedhelm anlegt. Schließlich sollte Friedhelm doch für ihn einen Käufer suchen.« Hubertus war zu müde, um zu merken, welche Wirkung seine Worte hatten.
»Wie?«
»Was!«
»Warum?«, echote es durch den Raum.
»Der Killer verdirbt einem nicht nur die Lebensfreude, sondern auch das Geschäft«, sagte Hubertus.
»Wer ist es denn nun? Wen haben Sie unter Verdacht?«, fragte Müller Zwo.
»Das sagen wir Ihnen erst, wenn wir diesen Bekloppten überführt haben.« Egon-Erwin ergriff als Erster das Wort, um unnötige Diskussionen zu vermeiden. »Ich sehe nicht ein, warum ich so viel Staub im Archiv schlucken musste und Sie jetzt hier den Ruhm einheimsen wollen.«
»Wohin Ihre Alleingänge führen, haben wir ja bereits erleben können«, sagte Susanne Kampnagel. »Es darf die Frage erlaubt sein, ob der Bürgermeister noch leben würde, hätten Sie ihm nicht aufgelauert.«
»Dieses Art der Schuldzuweisung bringt uns nicht weiter«, sagte Albertine. »Was schlagen Sie also vor?«
»Wir quartieren uns in Groß-Büchsen ein und …«
Jäh wurde Susanne unterbrochen. Ein Pflasterstein hatte die Terrassentür durchschlagen und die Teekanne aus edlem Meißner Porzellan atomisiert. Eine grüne Lache lief über den Tisch, die von Clementine sofort gestaut wurde. Müller Zwo war, kaum war der in einen Zettel eingewickelte Stein gelandet, zur Haustür hinausgelaufen und kam nun mit einem Halbwüchsigen im Schwitzkasten zurück.
»Wer … ist … das?«, fragte er stockend in die Runde, wobei er den wild um sich schlagenden Jungen umklammerte.
»Das ist Rudi, der Sohn von Bauer Schlüter.« Albertine untersuchte sehr genau die Schrammen im Gesicht des Zehnjährigen.
»Das ist Freiheitsdiebstahl oder wie man das nennt«, zeterte der Blondschopf. »Ihr kommt alle ins Gefängnis.« Er versuchte, sich aus dem eisernen Griff von Müller Zwo zu befreien.
»Der Einzige, der ins Gefängnis kommt, bist du, Hooligan.« Müller Zwo schlug dem Jungen zur Bekräftigung mit der Handkante so fest ins Genick, dass der in die Knie ging und Sternchen sah.
»Was hast du für diese Sachbeschädigung bekommen?« Das sanfte Lächeln seiner Kollegin Kampnagel beruhigte Müller Zwo sofort.
»Hundert Ocken«, sagte Rudi.
»Die gibst du jetzt sofort der Frau Doktor und entschuldigst dich.«
Rudi war erstaunlich folgsam, wohl auch, weil er wieder diese Handkante aus Stahl über seinem Nacken sah.
»Und wer hat dir den Stein gegeben?«, mischte sich Hubertus ein.
»Dieser Hollywood-Schauspieler, den ich in dem Ritterfilm gestern gesehen habe.« Rudi nickte treuherzig.
»Das war ›Braveheart‹ mit Mel Gibson als Sir William Wallace von Elderslie. Lief gestern auf VOX «, erklärte Hubertus.
»Hau ab, du Verbrecher«, sagte Müller Zwo und entließ Rudi in die Freiheit. Während der Junge blitzschnell zur Tür hinausrannte, deutete Müller Zwo auf das Stück Papier, das teedurchtränkt auf dem Tisch lag. »Was steht denn auf dem Zettel?«
»Ich töte Dich, Dreckstück. Aber erst foltere ich Deinen Freund mit dem kranken Arm. Halte Dich von mir fern, aber versteck Dich nicht in Deinem Haus. Meine Kugel findet immer ihr Ziel!«, stand da in schönster Kleinmädchenschrift zu lesen.
»So soll Mel Gibson schreiben? In welches Poesiealbum?« Hubertus schüttelte heftig den Kopf. »Hat Danny Glover eins? Der hat ja nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
»Wie viel Geld wollen Sie?«, fragte Friedhelm mit sicherer Stimme, obwohl er schon seit einer gefühlten Stunde durch den Wald irrte. Trotz der verbundenen Augen hatte er das Gefühl, im Kreis zu laufen.
Statt einer Antwort erhielt er mit dem
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