Ernten und Sterben (German Edition)
mich umbringen, können Sie mir doch verraten, auf welcher Webpage Sie Ihre Gewaltphantasien verewigt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie Tagebuch führen, obwohl Ihre kindliche Schrift dazu wunderbar passen würde.«
»Sie sollten mich ernst nehmen. Ich mache keine leeren Drohungen, das dürfte Ihnen nicht entgangen sein. Falls es also im Fegefeuer einen Internetzugang gibt, dann googeln Sie nach einem Blog von Black-Horst«, sagte Mel Gibson alias Horst Wild alias Black-Horst, dem man den Stolz anhören konnte. »Mein Motto lautet: ›I am a very dangerous man‹.«
»Sehr amüsant. Das hat schon Charles Manson von sich behauptet.« Albertine wunderte sich inzwischen über nichts mehr. In dieser lebensbedrohlichen Situation offenbarte sich ihr ein vollkommen neuer Charakterzug, und zwar die Kaltblütigkeit. »Irgendwie«, sagte sie völlig gelassen, »werde ich den Eindruck nicht los, dass bei Ihnen die Zeit stehen geblieben ist. Wie bei einer alten Standuhr.« Jetzt geh ich aufs Ganze, dachte sie und fuhr fort: »Und Ihren Vater, den vielfachen Schützenkönig, den haben Sie einfach abgeknallt und im Wald neben einer Eiche vergraben.«
Jetzt knallten bei Black-Horst die Sicherungen durch. Mit einem wutverzerrten »Schlampe!« versuchte er, Albertine mit der Spitze seines Bajonetts im Sessel festzutackern. Aber die scharfe Klinge traf nur das Polster und verhakte sich in den Federn. Albertine hatte sich instinktiv fallen lassen und lag nun zu seinen Füßen. Black-Horst ließ die Waffe los und hatte nun die Hände frei, um Albertine zu erwürgen. Mit seiner ganzen Kraft stürzte er sich auf sie und drückte zu. »Woher«, schrie er und drückte fester zu, »weißt du« – nun traten Albertines Augäpfel bedrohlich hervor – »das?«
»Weil sie schlauer ist als du. Weil bei ihr keine Sicherungen durchgebrannt sind. Weil sie niemanden umgebracht hat! Weil sie kein so ein perverses Schwein ist wie du!« Egon-Erwin stand in der Tür, die Fäuste erhoben wie bei einem Boxkampf.
»Mein Vater hatte es verdient, genau wie sein Halbbruder aus Amerika, der urplötzlich hier auftauchte und den ich im Radieschenbeet eingegraben habe. Sonst wäre der mir auf die Schliche gekommen. Die anderen waren nur Teil eines großen Kunstwerks, dem ich den Titel ›Meine Rache ist euer Tod‹ gegeben habe«, sagte Black-Horst. Er ließ von Albertine ab, fuhr herum und trat Egon-Erwin mit dem rechten Fuß in die Weichteile.
In die Knie gegangen, hielt sich Egon-Erwin mit beiden Händen an Black-Horsts Umhang fest.
»Das ist ja wohl die blödeste Überschrift, die ich je gehört habe. Jeder Affe schreibt bessere Headlines!« Egon-Erwin musste einen erneuten Treffer am Kinn einstecken, sein Kopf kippte nach hinten, und er verlor die Besinnung.
In diesem Moment stellte sich auch die Kamera ab, weil die Speicherkarte voll war. Egon-Erwin hatte sie im Kübel einer Zimmerpflanze platziert und notdürftig mit vertrockneten Blättern getarnt. Black-Horst hatte in seinem Wahn nur noch Albertine im Sinn, die er jetzt wie King Kong die weiße Frau in den Keller schleppte. Wieder wurde Albertine auf einem Stuhl fixiert, mit dem einzigen Unterschied, dass Black-Horst ihr nicht den Mund zuklebte. Dafür waren aber die Kabelbinder an sich schon eine Qual.
Albertine kam langsam wieder zu sich und fand sich in einem halb feuchten Keller wieder, der nur von einer beständig flackernden Neonröhre erleuchtet wurde.
Sie räusperte sich, deutlich konnte man die Würgemale an ihrem Hals erkennen. Zunächst brachte sie nur ein Krächzen hervor, aber nach ein paar Worten festigte sich ihre Stimme.
»Nehmen Sie doch endlich diese alberne Grinse-Maske ab. Sie wissen doch genau, dass Guy Fawkes das englische Parlament in die Luft sprengen und den König töten wollte. Er war ein katholischer Terrorist. Sind Sie gläubig? Sind Sie bekennender Katholik?« Albertine wollte Black-Horst zum Nachdenken zwingen. Irgendein Fünkchen Verstand brannte vielleicht noch in seinem hohlen Schädel.
»Nein, bin ich nicht«, brummte Black-Horst. »Aber die Maske ist das Symbol für einen weltumspannenden Widerstand.« Wirklich überzeugt schien nicht einmal er selbst von dieser Aussage.
»Dann wissen Sie auch nicht, dass man in England noch im 19. Jahrhundert eine Art Halloween feierte, Scheiterhaufen auftürmte und Guy-Fawkes-Strohpuppen in die Flammen warf. Auch Sie werden zur Rechenschaft gezogen werden. Und vielleicht wird man den Tag Ihrer Verurteilung
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