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Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Schneider
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schien doch heikler zu sein, als ich bisher angenommen hatte. Warum musste ich bloß immer wieder diese inoffi ziellen Einsätze riskieren? Irgendwann musste das ja mal schiefgehen. Schließlich nahm ich die Kamera, spitzelte vorsichtig an dem Busch vorbei und zoomte auf einen menschlichen Rücken. Dieser Rücken hatte zwei Arme, die ein Fernglas hielten, das in der Sonne spiegelte. Rü cken und Arme besaßen auch einen Kopf. Und diesen Kopf kannte ich.
    Sollte ich mich so getäuscht haben? War diese Person wirklich in diese mysteriöse Sache verstrickt? Offensicht lich, sonst würde er nicht ein paar Meter vor mir mit sei nem Fernglas sitzen. Glücklicherweise hatte er mich bis jetzt noch nicht entdeckt. Er rechnete wohl genauso wenig wie ich damit, dass er nicht allein sein würde. Ich stellte mir vor, was hätte passieren können, wenn ich vor ihm hier angekommen wäre. Mit an Sicherheit grenzender Wahr scheinlichkeit war er bewaffnet.
    Egal, ich musste es wagen. Als Polizist funktionierte so mancher Bluff recht glaubwürdig. Ich steckte meine Ka mera wieder in die Tasche und band mir diese, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, fest an den Gürtel. Bemüht, möglichst leise zu sein, machte ich einen auf Indianer. Das Glück war mit mir, in der Ferne hörte ich eine näher kom mende S-Bahn. Die Geräuschkulisse nutzend, kam ich in der nächsten halben Minute meiner Zielperson recht nahe. Noch drei Meter und er hatte mich immer noch nicht be merkt. Ich musterte ihn und irgendetwas kam mir dabei komisch vor. Er trug ein paar verwaschene Shorts und ein ebenso altes T-Shirt. Seine Füße steckten barfuß in aus gelatschten Sandalen. Nach wie vor starrte er durch sein Nullachtfünfzehn-Fernglas in Richtung der Aussiedlerhö fe. Nein, so sah nun wirklich kein Killer aus. Außerdem konnte ich keine Waffe oder sonstigen Utensilien bei ihm ausmachen.
    Jetzt war ich direkt hinter ihm. Er erschrak fast zu Tode, als ich ihn aus heiterem Himmel auf den Rücken tippte.
    »Guten Morgen, Herr Becker! Haben Sie die Feldhasen schon gefunden?«
    Dietmar Becker blickte mich entsetzt an. Das Fernglas glitt ihm aus der Hand und rutschte ein Stück die Bö schung hinunter. Er wollte danach greifen und verlor dabei zu allem Überfluss die Balance. Zwei Meter tiefer konnte er sich gerade noch an einer Wurzel festkrallen. Recht ver schmutzt und sicher mit dem einen oder anderen blauen Fleck versehen, kroch er wieder zu mir hoch.
    »Äh, ja. Hallo Herr Palzki«, stotterte er sichtlich ver legen, während er mit seiner linken Hand versuchte, den gröbsten Dreck von seinen Kleidern zu wischen.
    »Was machen Sie denn hier heute Morgen schon so früh?«
    »Ich liege hier auf der Lauer, um das Liebesleben der mexikanischen Springmäuse zu beobachten. Und warum sind Sie hier? Wird es nicht bald Zeit für Ihre Grabungen?«
    Es war keine Kunst, zu erkennen, wie Becker fieberhaft nach einer Ausrede suchte.
    »Nein, am Wochenende graben wir nicht.«
    Nach einer kurzen Pause hatte er wohl endlich eine Erleuchtung.
    »Ich beobachte das Umfeld der Grabungsstätte. In den letzten Tagen kamen manchmal ein paar verdächtige Wan derer vorbei, die sich meiner Meinung nach etwas zu stark für unsere Arbeit interessiert haben.«
    »Aha, so ist das also!«
    Becker war recht unbeholfen. Mich würde es nicht wun dern, wenn er mit seinen schätzungsweisen 25 Jahren noch bei seiner Mutter wohnte. Sein glatt rasiertes Kinn, sein brav gescheiteltes Haar, die kleine Stupsnase und der gerin ge Augenabstand ließen ihn irgendwie knabenhaft wirken. Seine schlaksig langen Beine konnte er schlecht koordi nieren, das hatte ich bereits gestern bemerkt. Im Übrigen schien seine Feinmotorik nicht besonders gut ausgeprägt zu sein. Zu einer Grabungsgesellschaft passte er jedenfalls ganz und gar nicht. Auf der anderen Seite waren mir sol che Leute, die sich für jede Lüge mit ihrem schlechten Ge wissen rumplagen müssen, außerordentlich sympathisch. Trotz seiner offensichtlichen Notlüge bekam er von mir das Testat ehrlich und vertrauenswürdig verliehen.
    »Herr Becker, lassen Sie uns jetzt mal Tacheles reden. Uns ist doch beiden klar, dass Sie nicht wegen der Gra bungsstätte hier sind. Die können Sie von hier aus ja nicht einmal sehen. Kommen Sie schon, rücken Sie mit der Wahr heit raus. Ich beiße nicht, zumindest nicht tagsüber.«
    Er rang mit sich und seinem Gewissen.
    »Ja gut, ist vielleicht besser so. Ich habe gestern, nach dem wir nicht mehr weitergraben durften,

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