Ernteopfer
selbst noch etwas herumgeschnüffelt. Die anderen sind gleich heimgefahren, ich bin aber lieber noch in Schifferstadt geblieben.«
Ich wurde hellhörig.
»Ja, und?«
»Irgendjemand hat mir erzählt, dass sich hier unten auf dem Parkplatz jeden Morgen eine Gruppe Polen trifft. Und da der Tote ein Pole war, habe ich mir gedacht, schaust du dir das mal genauer an.«
Ich glaubte ihm.
»Und wer hat Ihnen das ins Ohr geflüstert?«
»Keine Ahnung«, antwortete er viel zu schnell.
»Jetzt kommen Sie schon, machen Sie nicht auf Amne sie. Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Okay okay, es war so ein komischer Waldschrat. Ich ging gerade auf der Mutterstadter Straße die Unterfüh rung an der Bahnlinie hindurch, äh, eigentlich kann man sie von hier aus sehen.«
Er zeigte mir die Stelle, wo die Mutterstadter Straße durch den Bahndamm lief. Es war keine 50 Meter von uns entfernt.
»Da unten auf der Straße lief ich, als der Waldschrat mit seinem Hund aus dem Haus da vorne rauskam.«
Er zeigte auf den rechten Hof.
»Der Mann schaute sich um und fragte mich dann, ob die Bullen noch in der Nähe wären.«
»Und, waren die Bullen noch da?«
Ich behielt es für mich, dass ich den Vollbart bereits kannte.
»Nein, die Bull…, äh, ihre Kollegen waren schon weg. Nur das Gelände war noch mit diesem Band abgesperrt.«
»Was hat Ihnen dieser Waldschrat denn noch so zu geflüstert?«
»Nicht so viel, beziehungsweise ich verstand nicht so viel von dem, was er sagte. Sein Dialekt war extrem schwie rig zu deuten.«
»Wir sind hier halt in der Pfalz, da kann so was schon mal vorkommen. Jetzt sagen Sie schon endlich, was haben Sie verstanden?«
»Na ja, dass da halt an dem Morgen jemand umgebracht wurde. Er sagte, dass er schon lange damit gerechnet habe, dass irgendwas passiert. Dann erzählte er mir davon, dass sich jeden Morgen kurz vor 9 Uhr auf dem Parkplatz eine Gruppe Polen getroffen hat, die kurz darauf wieder ver schwand.«
»Und das war alles? Kannte er jemanden von denen?«
»Davon hat er nichts gesagt, jedenfalls habe ich nichts verstanden. Er ist dann auch gleich weggeradelt.«
Das brachte mir keine weiteren Informationen ein. Be ckers Hände zitterten, als rechnete er damit, dass er da für mindestens 50 Jahre Haft in Sibirien bekäme. Genau, was für eine Rolle spielte hier eigentlich mein Freund? Professor Müller würde wohl kaum diesen unbeholfenen Knaben auf Horchposten geschickt haben. Für mich sah es eher so aus, als drücke er sich aus eigenem Interesse auf der Böschung herum.
»Warum spielen Sie hier Detektiv?«, versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken.
»Werden Sie für ihre Observation bezahlt?«
Becker schaute mich an. »Nein nein, natürlich bezahlt mich dafür niemand. Ich weiß ja, dass ich bei den polizei lichen Ermittlungen störe. Aber ich habe mir fest vorge nommen, mich diesmal nicht erwischen zu lassen.«
»Diesmal?«, wiederholte ich verblüfft.
»Ja, äh, nein. Das ist nicht so, wie Sie vielleicht mei nen.«
Er merkte, wie er sich langsam, aber sicher um Kopf und Kragen redete und dabei immer lauter wurde.
»Sie wissen doch gar nicht, was ich meine. Jetzt be richten Sie mir mal alles ganz von vorne und sprechen Sie dabei vor allem etwas leiser. Man weiß nie, wer da hinter dem nächsten Busch sitzt.«
»Es ist so, mein Studium finanziere ich mir neben dem BAFöG mit dem Schreiben kleiner Artikel für die regi onalen Tageszeitungen. Ich gehe auf Waldfeste, Tage der offenen Türen und so weiter. Die werden dann in der ›Rheinpfalz‹, im ›Schifferstadter Tagblatt‹ oder ›Mannhei mer Morgen‹ im Regionalteil veröffentlicht. Dafür kassiere ich ein Honorar. Außerdem träume ich davon, mal einen richtigen Krimi zu schreiben, eventuell sogar einen regio nalen Krimi, der hier im Rhein-Neckar-Dreieck spielt.«
Oh Gott, dachte ich mir. Wieder so einer, der von nichts eine Ahnung hat, aber präzise die Polizeiarbeit beschreibt und sie als Realität verkaufen will.
Becker bemerkte, dass ich von seiner Antwort nicht sehr begeistert war.
»Ich weiß jetzt, was Sie denken, Herr Palzki. Ich will kein Fachbuch über das Polizeiwesen schreiben, sondern ein möglichst großes Publikum unterhalten. Und dazu gehört ein gewisses Maß an Kreativität, also künstleri sche Freiheit. Es ist nicht wichtig, immer alles richtig zu beschreiben. Viel wichtiger ist es, Dinge so zu beschrei ben, dass die Leser sie als richtig anerkennen. Ansonsten würde sich niemand mehr im Fernsehen einen
Weitere Kostenlose Bücher