Ernteopfer
Menschenmenge löste sich langsam auf und fuhr mit ihren Fahrzeugen davon. Außer dem Vollbart war nur noch der Fahrer des blauen Transporters übrig geblieben. Seine Fahrgäste hatten sich anscheinend auf die anderen Fahrzeuge verteilt.
Doch dann stieg der Fahrer ein, wendete und fuhr davon. Vollbart winkte ihm nach und ging dann in eine Scheune neben seinem Haus, aus der er wenige Augen blicke später mit seinem Fahrrad wieder auftauchte. Er radelte in Richtung Stadt, sein Hund rannte nebenher.
Ich zückte mein Diensthandy.
»Kriminalpolizei, guten Tag.«
»Palzki«, meldete ich mich. »Ich brauche ein paar von euch für eine Fahndung, es muss aber schnell gehen. Die Zielperson ist vermutlich Pole und läuft gerade zu Fuß vom gestrigen Tatort in Richtung Dannstadter Straße. Er trägt beige Arbeitshosen, ein hellgrünes Muskelshirt mit einer Zahl auf dem Rücken und eine rote Schumacher- Kappe. Passt auf, er ist mit einem Messer bewaffnet. Gebt mir sofort Bescheid, wenn ihr ihn habt.«
»Alles klar, die Streifenwagen sind schon so gut wie unterwegs.«
Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, wandte ich mich wieder dem Studenten zu, der immer noch regungs los dasaß.
»So, jetzt erzählen Sie mir mal, was Sie mit dem eben Erlebten anfangen wollen? Wollen Sie vielleicht einen Kri mi über die Erntehelferszene schreiben?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich habe bisher ein paar Kurz krimis für verschiedene Zeitschriften geschrieben, doch da muss der Mörder spätestens nach 5.000 Zeichen überführt sein. Ein ganzes Kriminalbuch sollte aber aus mehr Seiten bestehen. Dazu gehört natürlich eine entsprechend lange Handlung mit diversen Nebenschauplätzen. Zudem muss ein Krimi spannend sein, da kann ich nicht wie bei Karl May erst mal 40 Seiten Landschaftsbeschreibung bringen, es muss zügig zur Sache gehen, verstehen Sie?«
»Und was hat das jetzt mit Ihrer Lauschaktion zu tun?«, unterbrach ich ihn ungehalten.
»Das erzähl ich Ihnen doch gerade«, knurrte er etwas beleidigt.
»Ich brauche eine Idee für mein Buch. Der gestrige Mord hat mich dazu total inspiriert. Jetzt muss ich nur noch versu chen, ein paar interessante Hintergründe zu erforschen.«
»Mann, Becker, sind Sie vielleicht mal auf die Idee ge kommen, dass Ihre Forschungstätigkeit gefährlich wer den könnte? Da draußen läuft ein Mörder herum. Er wird kaum Rücksicht auf Sie nehmen, wenn Sie ihm bei Ihren Recherchen in die Quere kommen. Ich glaube nicht, dass er Sie beauftragen wird, als Ghostwriter seine Lebensge schichte zu schreiben.«
»Ach was, Herr Palzki. Ich glaube ja gar nicht, dass hinter der Geschichte was Großes steckt. Der Täter ist mir längst bekannt.«
»Der Täter ist Ihnen was…?«
»Da staunen Sie wohl. Mir ist schon seit gestern Abend klar, dass nur dieser Siegfried in Betracht kommt.«
Ich löcherte Becker mit meinem Blick, als müsse er je den Moment tot umfallen. Uff, hier fühlte sich mal wieder einer zum Hobbydetektiv berufen.
»Kann es sein, dass Sie sich das Ganze vielleicht ein biss chen zu einfach vorstellen? Sie wissen doch gar nicht, was noch alles hinter diesen Geschichten steckt, es gibt sicher lich noch andere, die ebenfalls ein Motiv haben könnten. Sagen Sie mir doch mal, was für ein Motiv hat Siegfried Ihrer Meinung nach überhaupt? Heute war er jedenfalls nicht dabei, sondern nur dieser Petersen.«
»Vergessen Sie Petersen, der ist nur Siegfrieds Mari onette. Der macht so ziemlich alles für seinen Chef. So gar die Bilanzen frisieren. Wobei wir wieder beim Motiv wären.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf, und während ich mei ne Kamera wieder einpackte, hakte ich noch einmal nach.
»Aha, und ausgerechnet ein Erntehelfer deckt hier ei nen groß angelegten Bilanzskandal auf. Das ist doch ein bisschen an den Haaren herbeigezogen, oder?«
»Zugegeben, mir fehlt da noch das passende Bindeglied. Aber das finde ich schon noch. Auf jeden Fall geht es um viel Geld. Sehr viel Geld.«
»Aha, und das hat Ihnen Siegfried alles anvertraut?«
»Ne, nicht der. Klaus hat mir das erzählt.«
»Klaus? Welcher Klaus? Verdammt, lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen!«
Dietmar Becker wollte gerade antworten, als zwei Strei fenwagen mit Sondersignal von der Umgehungsstraße her angeschossen kamen. Einer hielt auf dem Parkplatz, wäh rend der andere in den Wirtschaftsweg einbog. Ich gab Becker zu verstehen, dass er jetzt besser sitzen bleiben und sich ruhig verhalten sollte. Meine Kollegen
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