Ernteopfer
Tatort an sehen. Oder stellt etwa Kriminalhauptkommissarin Lena Odenthal Ihre Tätigkeit korrekt dar? Sie müssen auch bedenken, dass –«
Ich hielt ihm den Mund zu. Nicht weil mich seine Mei nung nicht interessierte, sondern weil eben ein Wagen auf dem Parkplatz anhielt. Ein dunkelgrüner Peugeot. Wäh rend Becker sein Billigfernglas ansetzte, stellte ich meine Kamera ein. Der Bahndamm war so verwildert, dass ich ohne jegliche Gefahr, entdeckt zu werden, im Sitzen das Gerät auf den Knien meiner angewinkelten und hoch gestellten Beine abstützen konnte. Damit konnte ich die Verwacklungsgefahr minimieren und den Zoom bis zum Anschlag ausfahren.
Drei Personen stiegen aus dem Peugeot. Zwei von ih nen zündeten sich eine Zigarette an. Ich schoss ein paar Bilder und vergaß natürlich auch das Kennzeichen des Wagens nicht.
In diesem Moment fuhr von rechts der blaue Transporter von Siegfried vor und von links hielt zeitgleich ein weiterer Transporter an. Ich erkannte ein Speyerer Nummernschild und las die Aufschrift ›Gemüseanbau Weiß‹ auf der Beifah rertür. Binnen Sekunden wuselte es auf dem Parkplatz von Menschen. Den Porsche bemerkte ich erst, als ich Petersen auf die Versammlung zulaufen sah. Er hatte seine Nobel karosse in etwa 50 Metern Entfernung auf dem Seitenstrei fen geparkt. In kurzem Abstand folgten noch zwei weitere Pkws, die ich ebenfalls auf elektronischem Zelluloid festhielt. Die Gruppe hatte sich inzwischen um Petersen versammelt. Es schien eine rege Diskussion im Gange zu sein.
Mit einem kurzen Seitenblick überprüfte ich, was Becker machte. Er hatte die gleiche Sitzstellung wie ich einge nommen und schaute fasziniert durch sein Fernglas. Doch dieser kurze Moment der Ablenkung genügte, um den Grund für einen gerade ausgebrochenen Tumult unten auf dem Parkplatz zu verpassen. Petersen schien in Bedräng nis zu kommen, mehrere Hände griffen abwechselnd nach ihm und stießen ihn jeweils ein paar Schritte rückwärts. Andere kamen hinzu und versuchten, ihm zu helfen. Die meisten der Beteiligten waren vermutlich Polen. Obwohl die Parteien sich offensichtlich gegenseitig anschrien, war wegen der allgemeinen Verkehrs-und Naturgeräusche aus dieser Distanz nichts zu verstehen.
Zum Glück hatte ich meine Speicherkarte erst vor ein paar Tagen geleert, ich fotografierte wie verrückt. Und dann ging es sehr schnell. Einer der Polen zog ein Klapp messer aus seiner Hosentasche und ging drohend auf den kaufmännischen Leiter von Siegfried zu. Die unmittelbar Danebenstehenden ließen voneinander ab, wichen ein paar Schritte zurück und beobachteten den aggressiven Messer helden. Petersen konnte nicht weiter ausweichen. Er hatte die geschlossene Beifahrertür des Transporters im Rücken. Dann wurde der Kreis um die beiden Kontrahenten immer enger und ich konnte nichts Genaues mehr erkennen.
Ich zögerte. Als Beamter war ich verpflichtet, einzu greifen. Doch bei dieser Übermacht war das Risiko viel zu groß, mich selbst in Gefahr zu bringen. Einen Notruf per Handy sollte ich doch wenigstens absetzen. Doch bis meine Kollegen am Einsatzort wären, könnte es um Pe tersen schon längst geschehen sein.
In diesem Moment rannte von links ein großer Hund bellend auf die Menschen zu. Erschrocken drehten sich alle um. Doch wie auf Kommando blieb der Vierbeiner kurz vor der ersten Wade stehen. Gemächlich kam nun Vollbart ins Bild gelaufen. Wild gestikulierend nahm er seinen Hund an die Leine und streichelte ihn. Die gefähr liche Situation schien sich langsam zu beruhigen. Vollbart schüttelte ein paar Hände und tat sehr vertraut, was mich wiederum sehr verwunderte. Es war zwar nahe liegend, dass er nicht zum ersten Mal mit den Leuten sprach, mir hatte er aber was anderes erzählt. Ich verkleinerte den Zoomfaktor und suchte nach Petersen. Er war nicht mehr zu finden. Auch der Messerheld war mittlerweile ver schwunden. Ich schwenkte meine Kamera immer hek tischer kreuz und quer durch die Szenerie, bis Petersens Porsche durchs Bild fuhr. Zum Fotografieren war es zu spät, doch ich vermutete, dass er selbst am Steuer saß. Dass er Meister im Verschwinden war, hatte er mir ja bereits gestern bewiesen.
Becker rüttelte an meiner Schulter.
»Da hinten, schauen Sie!«
Er zeigte auf den Landwirtschaftsweg, der ein Stück weit im Hintergrund zwischen den beiden Höfen zu sehen war. Dort lief der vermeintliche Messerstecher durch das abgesperrte Terrain, nur ein paar Schritte vom Fundort des Toten entfernt.
Die
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