Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Schneider
Vom Netzwerk:
seiner Stelle würde ich mir auch keinen aus Limburgerhof nehmen. Zu leicht könnte da was bei den Angestellten durchsickern.«
    »Falsch geraten, Herr Palzki. Es gibt noch einen viel wichtigeren Grund. Wie Sie wissen, liegt Mannheim in ei nem anderen Bundesland. Das macht diese Sache nämlich noch eine Stufe komplexer.«
    »Was hat das jetzt damit zu tun, ob sein Steuerberater in Rheinland-Pfalz sitzt oder in Baden-Württemberg?«
    »Es ist nicht nur wegen seines Steuerberaters. Wuss ten Sie, dass der Sitz der Gesellschaft, der Sitz der Ge schäftsführung und der Sitz laut Handelsregistereintrag an drei unterschiedlichen Orten sein können? Das ist wie bei einem Pkw, da unterscheiden Sie zwischen Eigentümer, Halter und Fahrer.«
    Als ich ihn weiterhin nur fassungslos anstarrte und vor Verwunderung keinen Ton mehr herausbrachte, fuhr er fort:
    »Sie kennen doch aus Ihrer eigenen Branche die Kom petenzrangelei der einzelnen Bundesländer. Föderalismus nennt man das. Das ist nicht nur bei der Polizei so, son dern auch beim Fiskus. Wussten Sie, dass manche Bun desländer unterschiedliche Steuerformulare haben? Bei der Einkommensteuer ist das nicht so wild, die Steuertabellen sind für alle gleich. Was allerdings die Gewerbesteuer an geht, gibt es von Bundesland zu Bundesland verschiedene Vorgehensweisen. Und oft genug stehen sich die Behörden der unterschiedlichen Bundesländer dabei selbst im Weg. Siegfried hat das gnadenlos ausgenutzt. Und Meerberger ist eines seiner Werkzeuge.«
    Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Das muss ich jetzt geistig verdauen, Herr Becker. Wie kann ich Sie erreichen, wenn ich noch Fragen an Sie haben sollte? Wo wohnen Sie eigentlich?«
    »Ich gebe Ihnen am besten meine Mobilrufnummer, wohnen tu ich übrigens in Mutterstadt im Pfalzring in einer Dreier-WG.«
    Nachdem ich mir seine Telefonnummer in mein No tizbuch notiert hatte, musste ich noch eine Frage loswer den.
    »Stimmt es, dass Sie zum Teil polnischer Abstammung sind, Herr Becker?«
    »Aha, Sie haben sich also schon über mich informiert, Herr Palzki. Gut so, ich habe schließlich nichts zu verbergen. Ja, Sie haben recht, meine Mutter kommt aus Breslau.«
    Aus dem Geschichtsunterricht wusste ich noch, dass das frühere preußische Breslau mit dem heutigen polnischen Wroclaw identisch war.
    »Dann wissen Sie bestimmt, dass Schablinski auch aus Wroclaw stammte?«
    »Ja, klar weiß ich das. Doch was soll das jetzt mit mir zu tun haben? Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht in Polen, ich wurde in Deutschland geboren und bin hier aufgewachsen. Alles Weitere ist nur ein blöder Zufall.«
    Ich dachte mir meinen Teil und hörte mit der Fragerei nach seiner Herkunft auf.
    »Okay, dann wollen wir mal langsam das Feld räumen, junger Mann. Sind Sie mit dem Auto unterwegs?«
    »Nein, ich ließ mich hier heute Morgen von einem Freund absetzen, der ist dann weiter nach Otterstadt ge fahren zu seinen Eltern. Ich werde jetzt erst einmal in die Stadt gehen und später nach Hause trampen.«
    »Oh, da haben Sie Glück, dass ich noch ein bisschen Zeit habe. Kommen Sie mit, mein Wagen steht drüben am Bahnweiher, ich fahre Sie schnell nach Mutterstadt.«
    »Nein, machen Sie sich doch keine Umstände, Herr Palzki. Mir macht das Trampen wirklich nichts aus.«
    Er versuchte hartnäckig, meine Dienstleistung auszu schlagen. Ich tat, als würde ich das nicht bemerken, und führte ihn sanft, aber bestimmt zu meinem Wagen. Und diesmal wählte ich nicht den Weg über die Bahngleise son dern nahm die offizielle Straße, die unter dem Bahndamm durchführte.

6
    Die Fahrt nach Mutterstadt brachte für mich keine neuen Erkenntnisse. Becker war recht schweigsam geworden. Über einen peinlichen Smalltalk kamen wir nicht hinaus.
    Ich fuhr nach seinen Angaben und hielt im Pfalzring vor einem 70er-Jahre-Bungalow an, der dringend einen frischen Anstrich, wenn nicht gar einen neuen Putz nötig hatte. Der nicht eingefriedete Vorgarten war komplett mit hässlichen Waschbetonplatten versiegelt.
    »Hier wohnen Sie? Das sieht mir nicht gerade nach ei ner Wohngemeinschaft aus.«
    »Doch, doch. Der frühere Besitzer ist vor zwei Jahren gestorben. Die Erben haben zunächst erfolglos versucht, das Anwesen zu verkaufen. Jetzt wohne ich hier mit zwei weiteren Studenten. Danke fürs Heimfahren, Herr Palzki. Vielleicht sieht man sich mal wieder!«
    Er stieg aus und ich dachte: Hoffentlich lässt er sich damit reichlich Zeit. Ich wendete und schaute dabei in den Rückspiegel.

Weitere Kostenlose Bücher