Ernteopfer
Wochenende spielen sich da zurzeit turbulente Szenen ab.«
Jetzt war es soweit, ich musste mich einmischen.
»Das heißt also, wenn ich dich richtig verstanden habe, wird man Siegfried aus politischer Rücksicht nicht ans Messer liefern, obwohl er vielleicht der größte Halunke im Landkreis ist.«
Ich redete mich mit immer noch schmerzender Zunge in Rage und erzählte meinen Kollegen von dem Gespräch mit Dietmar Becker.
»Das ist wirklich der Hammer«, kommentierte Ger hard, als ich mit meiner Brandrede fertig war.
»Unsereiner landet bei Steuerhinterziehung wegen 3,50 Euro fast im Knast und der Siegfried schwimmt im Geld. Ich bin mir jetzt schon fast sicher, dass sich das Verfahren mindestens zehn Jahre hinziehen wird und am Schluss ein Freispruch steht. Vielleicht bekommt er eine kleine symbolische Strafe, das ist aber das höchste der Gefühle. Dann setzt er sich mit dem Rest seines bescheidenen Ver mögens in Florida zur Ruhe. Oh, wie ich diese geldgeilen Säcke hasse!«
Keiner erwiderte etwas.
Schließlich schnappte sich Jutta wieder ihre Notizen und las den nächsten Punkt vor.
»So, jetzt kommen wir zu dir, Reiner. Dein Fahndungs auftrag von heute Morgen lief ins Leere. In dem Zielgebiet war niemand auffindbar, der deiner Beschreibung auch nur einigermaßen entsprach. Natürlich halten die Streifen wei terhin die Augen auf. Aber du weißt ja selbst am besten,
wie das ist, wenn mal ein paar Stunden vergangen sind.«
Sie machte eine kleine dramatische Pause.
»Kannst du uns übrigens bitte mal darüber aufklä ren? Was war da heute Morgen los? Wo warst du über haupt?«
»Schade, dass wir den nicht gekriegt haben. Der ist näm lich mit einem Messer auf Petersen los. Ich fuhr heute Morgen zufällig an dem Parkplatz neben Vollbarts Haus vorbei, da sah ich dort diesen Polentreff. Ich erkannte Pe tersen und sah, wie der andere gerade mit einem Messer auf ihn losging. Bis ich geparkt hatte, war schon alles vorbei. Die Leute stiegen in die Autos und fuhren davon. Nur der mit dem Messer lief über das Feld davon.«
»Aha, du bist da also heute Morgen zufällig vorbeige fahren, Reiner?«
Meine Kollegen grinsten. Sie kannten meine Eskapaden bereits ausgiebig.
»Okay, okay, vielleicht war es nicht zufällig. Ist doch egal. Jedenfalls werde ich am Montag mal mit Petersen über die Sache reden müssen. Übrigens, dieser Student Becker, den habe ich dort getroffen. Ich habe ihn anschließend heimgefahren. Er wohnt in Mutterstadt. Was interessant sein könnte, ist die Tatsache, dass der Betrieb von Siegfried höchstens einen Kilometer Luftlinie entfernt liegt. Wir sollten diesen Becker und die Ausgrabungsgruppe nicht aus den Augen verlieren.«
»Wenn du heute schon den Dietmar Becker getroffen hast, hättest du ihn fragen können, wieso die morgens eine Stunde von Mannheim nach Schifferstadt brauchen.«
Shit, da hatte Gerhard natürlich recht. Ich nahm mir fest vor, das nachzuholen.
»Was hast du da eigentlich auf dem Tisch liegen?«, frag te mich Jutta.
»Oh, das hätte ich ja fast vergessen. Meine Drohbrief sammlung hat Nachwuchs bekommen.«
Gerhard hob die Plastiktüte auf und las die Nachricht.
»Hm, da will jemand, dass wir unsere Finger von Sieg fried lassen oder dass wir uns jetzt erst recht um ihn küm mern.«
»So ist es, Gerhard. Will der Schreiber das erreichen, was er schreibt oder will er damit das Gegenteil bezwe cken? Darüber streiten sich seit Seelengenerationen die Psychologen. Aber ich will auf was anderes raus. Was fällt euch noch an dem Brief auf?«
Jutta nahm das Schreiben und schaute ihn sich näher an. Natürlich wusste sie gleich, was ich meinte.
»War der bei deiner Post dabei?« Ich nickte. »Ein un frankierter Brief. Der wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt bei uns vor der Tür eingeworfen. So kann doch nur ein großer Depp handeln. Ich lasse sofort die Videobänder der Außenkameras sichern.«
»Braves Mädchen«, antwortete ich.
»Braucht ihr mich noch oder kann ich jetzt was essen gehen?«
Jutta schaute mich kurz fragend an, dann blickte sie auf die Liste in ihrer Hand.
»Wenn du meinst, Reiner, dann lass es dir schmecken. Du weißt aber schon, dass du in einer guten Stunde einen Termin am Friedhof hast.«
Der Friedhof, die Obduktion. Verdammt, das hatte ich komplett verdrängt. Ich schaute mich um.
»Keine Chance, Reiner. Das muss der Chef persönlich machen.«
Ich sah sie alle grinsen. Nur mir war nicht zum Lachen zumute. Frau Ackermann wartete darauf,
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