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Ernteopfer

Ernteopfer

Titel: Ernteopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Schneider
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vollendeter Arbeit die Blutspritzer und Gewebeflüssigkeiten mit dem Wasserschlauch in den Bo denabfluss gespült wurden. Das benutzte Besteck wurde mit handelsüblichen Reinigungsmitteln gesäubert und wieder ins Regal eingeräumt. Unter chirurgischem Besteck sind hier auch Großgeräte wie Sägen zu verstehen, die den Pendants aus den Baumärkten zum Verwechseln ähneln. Das erste Mal, als ich hier in diesem Raum war, schockierte mich das Sortiment an verschiedenen Sägeblättern oder Schraubzwin gen noch. Wenn man hier einen Horrorfilm drehen würde, würde er wegen unrealistischer Darbietungen beim Publi kum durchfallen. Doch ich wusste, dass es bittere Realität war. Wer wollte sich hier über dieses Equipment beschwe ren? Eine Gewerbeaufsicht oder Berufsgenossenschaft für Leichen? So was gab es nicht. Tote haben keine Lobby.
    Dr. Hingstenberg riss mich aus meinen Gedanken.
    »Wir müssen den Job heute alleine machen. Meine As sistentin hat sich wegen einer Magen-und Darmgeschichte krankgemeldet.«
    Magen-Darm-Geschichte. Das erinnerte mich an meinen ersten amtlichen Besuch hier vor ein paar Jahren. Mein Magen musste danach noch tagelang steril gewesen sein, so ausgiebig hatte ich damals in den Bodenausguss gekotzt. Nach dem zweiten Termin hatte ich nur noch eine Woche lang Albträume. Inzwischen kann ich schon am darauffol genden Tag wieder feste Nahrung zu mir nehmen.
    Hingstenberg schnallte sich ein Diktiergerät um. Es war eines der neuen Sorte, das sich automatisch ein- und ausschaltet, sobald gesprochen wird.
    »Ich hole jetzt unseren Überraschungsgast«, sagte er schmunzelnd und verließ den Raum.
    Zwei oder drei Minuten später rollte er eine fahrbare Trage herein und stellte diese mitten im Raum ab. Unter einem schon leicht angegrauten Leintuch waren deutlich menschliche Extremitäten auszumachen. Am Kopfende der Trage befestigte er nun eine silberne Ablageschale, auf der er diverse Werkzeuge ablegte, die er von den Regalen nahm. Hingstenberg pfiff leise vor sich hin.
    »So, dann wollen wir mal loslegen«, sprach er und drückte die Starttaste auf seinem Diktiergerät.
    Wie ein Künstler, der sein Denkmal enthüllt, zog er das Laken zur Seite und stopfte es in ein Regal.
    »Jakub Schablinski, Alter 32, geboren in Warschau, zuletzt wohnhaft in Wroclaw, Identitätsnummer laut Pass...«
    Hingstenberg spulte die Kenndaten gewohnt mono ton herunter.
    »Größe...«, er schaute auf ein Blatt Papier, das neben der Leiche auf der Trage lag. »Größe: 1,79 m, Gewicht 74 kg, Ernährungszustand...«
    Hingstenberg drückte mit beiden Händen die Bauch lappen zusammen, um das Fettpolster abschätzen und vom Muskelgewebe unterscheiden zu können.
    »Ernährungszustand normal, Hautkolorit für die Jah reszeit etwas zu hell, Leichenflecken im üblichen Rahmen. Atypischer Schädelbruch an linker Schläfe mit Beeinträch tigung der inneren Hirnschale, einhergehend mit geringem Blut- und Gewebeverlust.«
    Ich wusste, dass es hier zunächst um eine unbewertete Bestandsaufnahme ging.
    Die Todesursache wurde erst später beschrieben. Trotz dem prüfte er mit einem Rundholzstab die Tiefe der Ein buchtung am Schädel. Mein Magen meldete sich, als Hingstenberg den Stab zurückzog und daran ein Stück chen Gehirnwindung hing. Er ließ das Gewebe in den Abfluss fallen und legte den Stab beiseite. Nun fasste er die Leiche an Schulter und Becken und drehte sie auf den Bauch.
    »Tätowierung am rechten Schulterblatt, vermutlich ja panische Schriftzeichen.«
    Mit seinem Zeige-und Mittelfinger fuhr er jeden Wirbel nach. Plötzlich stutzte er.
    »Ungewöhnliche Auswölbung des siebten Wirbels.«
    Er nahm ein Skalpell und legte die Stelle großzügig frei. Ich drehte mich herum und ersparte mir die aufquellende Gewebsflüssigkeit.
    »Aha«, hörte ich ihn kurz darauf.
    »Abnormalität des siebten Wirbels, ohne erkennbare Symptome. Keine äußeren Einwirkungen.«
    Ich drehte mich wieder zu ihm herum und sah gerade noch, wie er ein verschmiertes Etwas in den Leichnam zurückdrückte.
    Der Leichenzar betrachtete den Rest des Rückens ohne weitere Feststellungen. Er wuchtete nun Schablinski wie der in die Rückenlage.
    Langsam, aber sicher zogen die ersten nicht sehr ange nehmen Düfte durch meine Nase. Nun hatte mein Magen auch noch gegen die olfaktorischen Reize zu kämpfen.
    Hingstenberg begann nun mit der eigentlichen inne ren Leichenöffnung. Dabei werden mit einer speziel len Schnitttechnik alle drei Körperhöhlen geöffnet und

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