Ernteopfer
merkte Gerhard.
»Gestern eine Messerstecherei, heute versuchter Totschlag. Ich bin mal gespannt, was der noch alles auf dem Kerbholz hat. Ein Glück, dass du gestern zufällig auf dem Parkplatz warst und das alles hautnah mitbekom men hast.«
Er grinste.
»Tja, Zufälle gibt es, die kann man fast nicht glauben. Gerhard, mach nachher bitte gleich noch eine Anfrage bei den polnischen Behörden. Vielleicht sehen die einen Zusammenhang zwischen den beiden.«
Wir gingen durch die Halle zurück in den Hof und blickten verwundert auf vier Traktoren nebst dazugehö renden Hängern, die unsere Dienstwagen hoffnungslos zugeparkt hatten. Frau Weiß stand bei einer Gruppe von Männern, die wahrscheinlich für den Fuhrpark verant wortlich waren. Sie rief uns zu, dass sie gleich fertig sei. Wir sollten schon mal ins Haus gehen. Gleich links nach dem Eingang wäre die Wohnküche.
Gerhard und ich winkten ihr zu, als wären wir eine In spektor-Columbo-Persiflage, und erklommen die wenigen Stufen der Eingangstreppe. Die offene Haustür war mit einem Blumenkübel fixiert. Im Flur herrschte das Chaos einer Geschäftsfrau, die unter vollem beruflichem Einsatz den Haushalt sträflich vernachlässigte.
Der lang gezogene Flur, der das Haus in zwei Hälften teilte, war komplett mit Nippes tapeziert. Fast kein Qua dratzentimeter ohne schnörkelhafte Bilderrahmen mit alten Fotos, Sammeltellerregale, Kuckucksuhren. Sogar eine spie ßige Miniaturgartenzwergsammlung stand auf einem kleinen Absatz zwischen zwei runden Schneewittchen-Spiegeln.
Wir verließen diesen Hort der zügellosen wie fragwür digen Sammelleidenschaft und gingen in die recht groß wirkende Wohnküche. Wir schritten in eine andere Welt. Eine hypermoderne Einbauküche mit allem Schnick schnack bis hin zum integrierten Kaffeeautomaten nahm zwei komplette Wände des Raumes ein. Eine Edelsitzecke im rundlichen Colanidesign vervollständigte das Inventar. Unsere Augen konnten sich über die eben wahrgenom menen Gegensätze nicht sattsehen.
»Tut mir leid, dass ich Sie hab warten lassen.«
Frau Weiß stand auf der Schwelle.
»Da staunen Sie, was? Die Küche ist mein ganzer Stolz. Die habe ich mir gerade vor drei Wochen zugelegt.«
»Hm«, staunte ich. »Da scheint Ihr Geschäft ja kräftig was abzuwerfen.«
Sie lachte.
»Das meinen Sie doch nicht im Ernst? Es war schwie rig genug, von den Erlösen dieses Hofes für drei Perso nen zu sorgen.«
»Wieso drei?«, unterbrach ich sie hastig.
»Ach, das können Sie ja nicht wissen. Meine Schwie germutter ist vor einem guten Jahr gestorben. Sie führte hier eigentlich mit ihrem Sohn zusammen das Regiment. Ihren Lebensstil können Sie noch im Flur bewundern. Das fliegt hier jetzt alles nacheinander raus.«
Sie machte eine kleine Pause, weil sie offensichtlich den Faden verloren hatte.
»Das Geld für die Küche stammt von Henrys Lebens versicherung. Warum soll ich mir jetzt nicht auch mal was Schönes gönnen? Jahrelang hab ich hier wie eine Bettlerin gelebt, musste meine Schwiegermutter umschwärmen und meinem Mann den Alkohol nachtragen.«
»Ihr Vorarbeiter, Herr Knoll, hat uns vorhin von den Todesumständen Ihres Mannes berichtet.«
»Dieser Depp. Sie müssen ihn wirklich nicht ernst nehmen. Er hat bereits zwei Wochen nach dem Selbstmord meines Mannes versucht, mit mir anzubändeln. Das wäre ja noch schöner, da käme ich direkt vom Regen in die Trau fe. Haben Sie Knoll reden hören? Seine Ausdrucksweise macht Millionen Jahre Evolution zunichte. Leider hat er so eine Art Vertrag auf Lebenszeit. Er und mein Mann waren dicke Freunde. Und zu allem Überdruss wohnt er auf dem Gelände.«
»Okay, lassen wir das mal. Was können Sie uns über Antoni und Marek sagen? Arbeiten die schon länger bei Ihnen?«
»Nein, beide sind vor ungefähr zwei Wochen ange reist.«
Sie überlegte kurz.
»Ja, sie kommen wie jedes Jahr so Mitte Mai. Marek und Antoni gehören zu unserer Stammmannschaft und bisher sind sie immer gute Freunde und vor allem sehr zuverlässig gewesen. Marek konnte sogar ausgezeichnet Traktor fahren.«
»Ist Ihnen in den letzten Tagen etwas Besonderes aufge fallen? Auch wenn Sie denken, dass es nur eine Kleinigkeit ist und bestimmt nichts mit der Tat zu tun hat«, schaltete sich Gerhard in die Diskussion ein.
»Lassen Sie mich überlegen. Nein, tut mir leid, es war alles wie immer. Mir ist absolut nichts aufgefallen, was nur im Entferntesten erwähnenswert wäre.«
»Dann bedanken wir uns erst mal für ihre
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