Ernteopfer
Hilfe, Frau Weiß. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie meinen Kollegen Palzki oder mich jederzeit anrufen.«
Mit diesen Worten übergab er ihr seine Visitenkarte.
»Vielen Dank. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?«
Ja gerne, dachte ich und strahlte über beide Backen.
»Nein danke«, sagte mein Kollege.
»Wir haben noch so viel zu tun. Trotzdem vielen Dank für das Angebot.«
Gerhard war schon im Begriff aufzustehen.
»Eine Frage hätte ich noch«, knüpfte ich in Columbo-Manier an.
»Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Siegfried in Limburgerhof?«
Frau Weiß stutzte einen kleinen Moment.
»Wie kommen Sie jetzt da drauf? Wir liefern einen Großteil unserer Erntemenge dort ab und Siegfried küm mert sich um die Vermarktung und den Verkauf der Ware. Einmal in der Woche wird dann abgerechnet. Die Listen prüft Herr Knoll, der kann Ihnen da sicherlich weiterhel fen, falls Sie dazu noch Fragen haben.«
»Haben Sie in dieser Hinsicht volles Vertrauen zu Herrn Knoll?«
Sie überlegte.
»Nicht unbedingt volles Vertrauen. Doch was wäre die Alternative? Er macht das schon seit Jahren und Henry hat te da wohl immer ein Auge drauf geworfen. Ich wüsste gar nicht, wie ich das kontrollieren sollte. Ich habe aber die Hoff nung, dass bei Siegfried alles genauestens gewogen und ab gerechnet wird. Das ist immerhin ein großer Laden, und die dürfen sich Unregelmäßigkeiten doch gar nicht erlauben.«
Das klang reichlich naiv.
Wir verabschiedeten uns nun endgültig und gingen durch den Museumsflur nach draußen.
»Schönes Fräulein, meinst du nicht?«, sagte Gerhard zu mir.
»Mit den Zahlen hat sie es wohl nicht so. Kein Wunder, stand sie doch jahrelang unter der Fuchtel ihres Haus drachens.«
»Trotzdem«, antwortete ich ihm.
»Zwei Todesfälle in so kurzer Zeit und einer davon Selbstmord, da ist irgendetwas im Busch. Wir sollten uns die Akten besorgen.«
»Glaubst du, dass unsere Polen etwas damit zu tun ha ben?«
»Nein, das ist ziemlich unwahrscheinlich. Ich sehe die Sache mit Frau Weiß eher als einen Nebenaspekt an, der bei der Ermittlungsarbeit zufällig entdeckt wurde. Vielleicht steckt nichts dahinter. Warten wirs erst mal ab.«
»Sehen wir uns heute Mittag?«
»Ich denke schon«, antwortete ich ihm.
»Mal schauen, wie weit wir heute noch kommen. Die anderen brauchen wir aber nicht aufzuscheuchen, das hat Zeit bis morgen.«
Da die Hänger inzwischen in der Halle beladen wur den, konnten wir mit unseren Autos problemlos vom Hof fahren.
Ich fuhr nun mit deutlich gemäßigterem Tempo die Landstraße zurück nach Schifferstadt. Normalerweise hät te ich die B 9 nehmen können, doch ich wusste, dass auf diesem Teilstück gerade der Fahrbahnbelag erneuert wur de. Außerdem fuhr ich gerne durch den Wald.
Verdammt, warum ging mir Hannah Weiß nicht aus dem Kopf? Ihr freundliches, falten- und makelloses Ge sicht prägte sich einem sofort unvergesslich ein. Obwohl ich eigentlich Kurzhaarfrisuren bei Frauen nicht so moch te, stand ihr der flotte stufige Schnitt hervorragend. Weder Ohrringe noch sonstiger Schmuck lenkten von diesem perfekten Ensemble ihrer Körperteile ab.
He Reiner, rief ich mich zur Ordnung. Du kannst doch nicht einfach Stefanie abschreiben, nur weil du mal durch die rosarote Brille eine optische Gewissensprüfung meis
tern musst.
Trotzdem, sie ging mir nicht mehr aus dem Sinn.
Das ging soweit, dass ich kurz nach dem Ortseingang Schifferstadt noch Landstraßentempo auf dem Tacho stehen hatte und eine Vollbremsung hinlegen musste, da ein Fuß gänger es wagte, sich mir auf offener Straße in den Weg zu stellen. Gut, gerechterweise muss man erwähnen, dass sich der Fußgänger auf einem Zebrastreifen befand. Ja, ich wuss te, dass dieser Zebrastreifen gerade am Wochenende stark frequentiert wurde, da er direkt zur Waldfesthalle, und da durch zu diversen Vereinsheimen und zum Vogelpark führte, der sommerlichen Sauf-und Fressmeile von Schifferstadt.
Meine Reaktionszeit war meisterlich kurz, es gab keine Feindberührung. Der Fußgänger konnte sich mit einem Satz in Richtung Randstreifen in Sicherheit bringen.
»Du Idiot«, schrie er mich aufgebracht an.
Dann erkannte er mich.
Im gleichen Moment erkannte ich ihn.
Dietmar Becker. Er war mindestens genauso überrascht wie ich. Um die Straße nicht zu blockieren, bog ich scharf links in die Einfahrt zum Waldfestgelände ein und hielt dort an. Als ich die Scheibe nach unten gekurbelt hatte, schaute ich bereits in das
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