Eroberer
Frieden mit William zu schließen, wenn er kann«, sagte Sihtric. »Er weiß nämlich, dass William gefährlich ist.«
Der siebenunddreißigjährige William war als unehelicher Sohn des Herzogs der Normandie von der Tochter eines Gerbers zur Welt gebracht worden. Es war keine aussichtsreiche Geburt, und wehe, man erinnerte ihn daran. Als Williams Vater bei einer Pilgerfahrt nach Jerusalem starb, gingen die Krieger-Aristokraten der Normandie sofort aufeinander los.
William, erst acht Jahre alt, lernte nie lesen, aber er lernte zu kämpfen.
Nordfranken mit seiner schwachen zentralen Monarchie war in Herzogtümer aufgespalten, die alle beständig miteinander im Krieg lagen. Schon mit Anfang zwanzig begann William, Überfälle auf seine Nachbarn zu verüben. Vielleicht weil er selbst die Frucht sündiger Lust war, wurde er ein asketischer, frommer Soldat, der mit brutaler Effizienz zuschlug und dann zu einem rachsüchtigen Gott um Vergebung betete.
»Und jetzt«, sagte Orm, »hat er England im Visier.«
»Harold ist zunächst einmal immer auf Frieden aus«, sagte Sihtric. »Er weiß, dass William, mit Roberts ›Versprechen‹ in der Tasche, in der Zukunft eine Bedrohung darstellen wird. Deshalb ist er hergekommen, um ein Bündnis mit William zu schließen, indem er ihm seine Schwester zur Frau gibt.«
»Und Harold ist auch hier, um seinen Bruder zurückzuholen«, ergänzte Godgifu. »Wulfnoth, der seit über einem Jahrzehnt Williams Geisel ist. Deshalb ist er hier. Was das Risiko angeht – du hast ihn kennen gelernt, Orm. Harold kann schon auf sich aufpassen.«
»Meinst du?«, sagte Orm trocken. Draußen gab es einen Tumult, und Orm nickte zur offenen Tür der Wirtsstube. »Schaut euch das an.«
Sihtric und Godgifu verließen das Wirtshaus, gefolgt von Orm. Und sie sahen die unverkennbare Gestalt von Harold, flankiert von seinem Bruder und seinen anderen Gefährten. Stämmige Normannen hielten ihn
an den Armen gepackt und führten den vor Wut weißen Harold zu Odos Kirche.
»Sollen wir ihm helfen?«, fragte Godgifu.
Orm zuckte die Achseln. »Ich verdanke ihm mein Leben. Ich muss es tun.«
Sihtric zögerte. Orm sah, wie Berechnung und Feigheit in diesem schmalen Gesicht miteinander kämpften. Dann sagte der Priester: »Ja. Ja, wir müssen ihm helfen.«
Sie eilten hinter Harold her.
IV
Die Kirche war überfüllt. Orm musste sich mit den Schultern einen Weg durch eine Traube von Prälaten, bewaffneten Kriegern und Gefolgsleuten Williams und Harolds bahnen. Die Atmosphäre war angespannt; sowohl Engländer als auch Normannen hatten die Hände am Heft ihrer Schwerter.
Harold und sein Bruder Gyrth waren vor William geschleift worden. Sie bildeten einen echten Kontrast, die hochgewachsenen, rothaarigen, blauäugigen, gut gebauten Engländer und der kleine, korpulente Normanne. Williams Gesicht war rasiert, das pechschwarze Haar am Hinterkopf bis zur Kopfhaut weggeschabt; er schaute finster und drohend drein. Am Altar stand Bischof Odo, ein Halbbruder des Bastards. In seinen kostbaren Priestergewändern war Odo eine elegantere Kopie seines beleibten Bruders. Er hielt eine in Leder gebundene Bibel und ein vergoldetes Kästchen in der Hand.
Mit den gespitzten Ohren des Höflings schnappte Sihtric das Gemurmel der Engländer in der Menge auf. William hatte die offenbar von langer Hand vorbereitete Falle zuschnappen lassen. Das Kästchen in Odos Hand enthielt eine Reliquie, den Finger eines
Heiligen. Nun verlangte William von Harold, ihm den Treueeid zu leisten, einen Eid, den er auf die Relique schwören sollte – und Harold sollte versprechen, Williams Anspruch auf den Thron von England zu unterstützen.
Orrm erkannte erstaunt, dass er ins Auge eines Sturms katapultiert worden war, der vielleicht ein Königreich verschlingen würde.
Harold schaute sich mit zornrotem Gesicht um. Als er Sihtric sah, winkte er ihn herbei. Der Priester war erschrocken und ängstlich, doch als man ihn durchließ, eilte er nach vorn, und Orm und Godgifu folgten ihm.
»Ich glaube, ich brauche geistlichen Beistand, Priester«, sagte Harold leise.
»Ich bin hier, um dir zu dienen, Herr.«
»Ich finde die Arroganz dieses Mannes unglaublich. Dieser aufgeblasene Rohling verlangt von mir einen solchen Eid. Nun, ich bin ihm in die Falle gegangen. Was soll ich tun? Wenn ich den Eid ablege und halte, wird William zweifellos den Thron erobern. Du hast seine Methoden gesehen, was er in der Bretagne getan hat. Ich werde nicht dulden, dass
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