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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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dies England widerfährt. Aber den Eid abzulegen und zu brechen, wäre eine Sünde.« Der Eid war das Fundament des Gesetzes, er band Könige und Grundherrn wie auch freie Männer. Eidbruch war ein schweres Vergehen – und einen Eid zu brechen, der auf heilige Reliquien geschworen wurde, wog noch schwerer. »Aber wenn ich den Eid gar nicht erst ablege …«

    »Dann werden wir alle hier und jetzt niedergemacht, Bruder«, sagte Gyrth grimmig.
    Orm sah, wie sich Harolds Hand zu seinem Schwert bewegte, und die Spannung in der Kirche stieg noch. »Zumindest können wir im Kampf sterben.«
    Sihtric sagte auf Englisch ein paar schnelle Worte zu Harold, vielleicht in der Hoffnung, dass William es nicht hören konnte. »Du bist dem Bastard zehnmal überlegen. Mit deiner Klugheit bist du ein Mann der Zukunft; William ist nichts als Aggression und Gier, ein Rückfall in eine dunklere Vergangenheit. Du musst an das Wohl des größeren Ganzen denken, Herr.«
    »Das Wohl des größeren Ganzen? Du meinst, ich soll den Eid ablegen, um am Leben zu bleiben, im Wissen, dass ich ihn nicht halten werde?« Harold machte ein verzweifeltes Gesicht. »Aber meine Seele, Priester«, sagte er. »Meine Seele .«
    »Ein Schwur, der unter Zwang abgelegt wird, ist nicht bindend und keine Sünde«, sagte Sihtric. Doch selbst Orm, der Heide, wusste, dass er log.
    Odo trat mit der Bibel und dem Reliquiar vor. Harold legte mit gequälter Miene eine Hand auf das Reliquiar, sah William den Bastard an und sprach seinen Schwur.

V
    Unter einem trüben Winterhimmel fuhr das Normannenschiff vorsichtig den verkehrsreichen Fluss hinauf. Es gehörte zu einer kleinen Flotte, die sich im Besitz eines normannischen Grundherrn befand, Orms gegenwärtigem Dienstherrn. Mit umgelegtem Mast, angetrieben von seinen Rudern, fuhr es unter der einzigen Brücke hindurch, die das Lunden nördlich und südlich des Flusses verband.
    Es war Anfang Januar, im Jahr des Herrn 1066.
    Orm Egilsson stand an seinem Platz im Bug und schaute sich neugierig um. An beiden Flussufern drängten sich Kais und Piers ans Wasser wie Schweineschnauzen an einen Trog. Weiter entfernt erhoben sich Gebäude wie eine steinerne Woge und überzogen die Hügel. Jahrhunderte nachdem der letzte Legionär seinen Posten verlassen hatte, war die berühmte römische Mauer immer noch riesig und unverwechselbar, eine brütende Masse aus Gussgestein und behauenen Quadern.
    Orms Nasenflügel zuckten angesichts des Gestanks von Holzrauch, bratendem Fleisch und Abwässern. Selbst das Wasser war seltsam, schwarz vor Schmutz, an der Oberfläche mit Exkrementen, Asche und Fischresten
übersät – und mit ein paar aufgequollenen menschlichen Leichen. Der Umfang, das Getriebe und die schiere Größe der Stadt stellten die kleinen Städtchen der Normandie in den Schatten. Lunden war das Zentrum von Englands Handelsverkehr mit Europa, und riesige Mengen Wolle, Englands Hauptexportartikel, strömten von hier aus zum Kontinent. Aber es gab auch noch grüne Streifen Ackerland innerhalb der Mauern. Fast zweihundert Jahre nach König Alfreds Befehl, Londinium wieder zu besiedeln, hatten die Engländer die alte Römerstadt immer noch nicht vollständig in Besitz genommen.
    An diesem Tag war die Stadt noch voller als sonst, und das normannische Schiff hatte Schwierigkeiten, einen Anlegeplatz zu finden. Lunden beherbergte gerade König Edwards Weihnachtshof, ein Ritual, das auf die alten Witan-Versammlungen zurückging, und zwei Erzbischöfe, acht Bischöfe, acht Äbte, alle fünf Earls von England und sämtliche Adligen des Hofes mit ihrem Gefolge hatten sich hier versammelt, um die Stadt in eine Brutstätte der Diplomatie, der Intrigen und des Klatsches zu verwandeln.
    Einem Brief zufolge, den Orm von Godgifu aus Northumbrien erhalten hatte, war der Weihnachtshof dieses Jahr zudem eine noch größere Angelegenheit als sonst – denn die Gerüchte besagten, dass Edward, König von England, im Sterben lag.
    Das Schiff legte an, und die Besatzung und die Passagiere ergossen sich in die engen Straßen. Die zur Bewachung der Schiffe zurückbleibenden Seeleute forderten
ihre Gefährten lautstark auf, nur anständiges Bier, madenfreies Brot und jungfräuliche Huren mitzubringen.
    Orm machte sich auf die Suche nach Westmynster, weil Godgifu versprochen hatte, sich dort mit ihm zu treffen. Er musste mehrmals nach dem Weg fragen, und die Antworten waren englisch oder dänisch oder eine grobe Mischung beider Sprachen. Nach

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