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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Jahrhunderten der Zuwanderung und der Invasionen entwickelte sich aus dem primitiven Argot der Händler und Soldaten allmählich eine neue Sprache, eine reiche Mixtur beider Wortschätze, wobei sämtliche grammatischen Komplexitäten auf der Strecke blieben.
    Westmynster, ganz in der Nähe einer gewaltigen Biegung der Tamesis gelegen, erwies sich als eine Kiesinsel, die von zwei Zuflüssen aus dem Flussufer geschnitten wurde. In Godgifus Brief hatte gestanden, der alte Name dieses Ortes sei »Insel der Dornen«. Hier hatte Caesar während seines ersten Angriffs auf Britannien angeblich den Fluss überquert. Jetzt war die Insel trockengelegt, und Edward hatte dort im Verlauf seiner langen Herrschaft einen Königspalast und eine Abtei errichten lassen.
    Und in den letzten Jahren hatte er sich daran gemacht, zur Erinnerung an seine fromme Herrschaft hier eine mächtige neue Kirche im kontinentalen Stil zu erbauen. Sie war noch immer nicht fertig, aber ihr Bleidach glänzte; sie war eine riesige Schachtel aus Stein, der gegenüber die englischen Gebäude in der Nähe primitiv und halb fertig wirkten.

    Die Straßen um das Areal der Abtei herum waren noch voller als woanders. Irgendwo dort drin, vermutete Orm, kreisten große Männer wie Bussarde über dem Totenbett eines Königs. Aber Orm war nur ein Söldner, und sein Ziel war kein Palast – zumindest jetzt nicht.
    Er umrundete die Mauern der Abtei, bis er ein Wirtshaus erblickte, ein baufälliges Gebäude aus Holz, dessen geschwärztes Strohdach darauf hindeutete, dass es vielleicht einmal eine Schmiede gewesen war. Es war unauffällig, abgesehen von der Standarte, die in der dunstigen Brise flatterte. Das wollene rot-gelbe Tuch war eine primitive Imitation des Goldenen Kriegers von Harold, Godwines Sohn.
    Und wie versprochen, wartete Godgifu unter dieser Fahne auf ihn.

VI
    »Du siehst gut aus.«
    »Du auch«, sagte sie spöttisch.
    Vor achtzehn Monaten, als sie in der Normandie und der Bretagne mit den Kriegerfürsten der Normandie und Englands geritten war, hatte Godgifu männliche Kleidung getragen. Jetzt steckten Nadeln in ihrem Haar, und sie trug ein langes, tailliertes Kleid mit schweren, kostbar aussehenden Fibeln und Spangen. Sie war für den Hof, nicht für das Feld gekleidet. Schön war sie nicht. Dafür war sie zu klein, ihr Gesicht zu viereckig, die Nase zu lang, der blauäugige Blick zu direkt. Aber Orm war überwältigt von ihrer Mischung aus Weiblichkeit und Kraft. Mit dieser Frau an seiner Seite, dachte er, konnte man sein Land erringen und sich eine Existenz aufbauen. Und er sah, dass sein Interesse in der lebhaften Wärme ihres Blicks erwidert wurde.
    »Ich habe dich seit der Normandie nicht mehr gesehen«, begann er. »Bayeux, diese Sache mit Harold und dem Eid.«
    »Ja, ich weiß.«
    In den Spannungen und dem Durcheinander nach jener obskuren Eidabnahme hatte Orm, von dem erwartet wurde, dass er an der Seite seines normannischen
Herrn stand, Godgifu und ihren Bruder aus den Augen verloren. Und er hatte sie seit jenem Tag nicht wiedergesehen.
    »Ich habe mich über deinen Brief gefreut. Ich dachte schon, wir würden uns vielleicht nie wiedersehen. Und dabei war zwischen uns noch einiges unerledigt.«
    Sie grinste beinahe lasziv. »So ist es, Wikinger.«
    »Das gilt auch für uns«, sagte Sihtric. Der Priester kam mit schnellen Schritten aus der Wirtsstube. Er hatte einen randvollen Krug dabei. »Mich interessiert allerdings nicht, was du in der Hose hast, Orm, sondern was du im Kopf hast.«
    »Für einen Mann Gottes bist du manchmal ganz schön ordinär, Priester.«
    »Nicht ordinär, sondern ehrlich, und damit hat Gott kein Problem.« Er kippte die Hälfte seines Bieres mit einem Schluck hinunter. Sihtric war glatt rasiert, seine Tonsur und seine Augenbrauen waren ordentlich ausgezupft, und er trug eine weiße Tunika mit glitzernden goldenen Fäden. Außerdem setzte er Fett an; er hatte einen Schmerbauch, der sich an seinem schmächtigen Körper auf komische Weise nach vorn wölbte. Offensichtlich ging es ihm gut. Und doch waren die Durchtriebenheit und der Ehrgeiz, die Orm bei ihrer Begegnung in der Bretagne an dem jungen Priester bemerkt hatte, eher noch auffälliger als früher.
    »Und was hältst du von unserer neuen Kathedrale von Westmynster, Orm?«
    »Ein eindrucksvolles Bauwerk.«
    »Ja. Die erste Kirche in Kreuzform in ganz England,
musst du wissen, und größer als alles, was es in der Normandie gibt …«
    »Ich hasse sie«, sagte

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