Eroberer
unter unserem verhangenen englischen Himmel ist er vielleicht gar nicht zu sehen. Aber er ist im März erschienen , genau wie das Menologium es versprochen hat. Es ist wahr geworden! Jetzt sehnt
das Imperium des Nordens seine Geburt herbei – und Harold muss tun, was ich sage.«
Bei diesen Worten wurde es Godgifu kalt ums Herz. »Du bist überheblich, Sihtric. Ein Priester, der einem König Befehle erteilen möchte.«
»Aber selbst Harold ist nur ein Werkzeug, mit dem der große Plan des Menologiums verwirklicht werden kann.« Sihtrics Augen glänzten in dem unheimlichen Licht.
Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, welche Motive wohl derjenige haben mochte, der in Wahrheit hinter all dem steckte: der Verfasser des Menologiums, der Weber. Was für ein Wesen war er , der davon träumte, eine arische Nation im Norden zu gründen?
Und dann sah sie den König selbst an der Kirchenmauer stehen. Harolds hochgewachsene Gestalt war unverwechselbar; zusammen mit einigen engen Gefährten, ein paar Huscarls und ein oder zwei Erzbischöfen, spähte er zum Himmel hinauf, der zum ersten Mal seit Tagen zu sehen war.
Sie folgte ihren Blicken. Und ihre Haut kribbelte vor Kälte.
»Ah«, zischte Sihtric, der Harold anstarrte. »Er sieht von Kopf bis Fuß wie ein König aus. Schau, wie der Goldfaden seines Kittels im Mondlicht glitzert.«
Godgifu sah Sihtric an. In seinem schmutzigen Nachthemd und mit seinem zerzausten tonsurierten Haar wirkte er viel jünger und seltsam verletzlich. »Du bist wirklich nicht von dieser Welt«, sagte sie. »Dein ganzes Leben lang warst du besessen von diesem
Kometen, und doch schaust du nicht einmal zum Himmel hinauf, nicht wahr? Das ist kein Mondlicht, Sihtric.«
Jetzt hob er den Blick und sah eine leuchtende silberne Wolke am Himmel hängen; haarähnliche Fransen gingen von ihr aus. Er schnappte nach Luft und murmelte ein Gebet.
Godgifu erforschte ihre Gefühle. Trotz Sihtrics ausgeklügelten Deutungen hatte sie nie wirklich an das Menologium geglaubt. Doch angesichts des Kometen am Himmel war dies nicht mehr nur das faszinierende Spiel eines exzentrischen jungen Priesters. Die fundamentale Wahrheit der Prophezeiung war damit bewiesen. Jetzt war alles anders, dachte sie.
Und während Lunden still unter dem unnatürlichen Licht des Kometen lag, wurden im Norden und im Süden Flotten versammelt und Heere aufgestellt, und gewaltige Kräfte regten sich. Sie fragte sich, ob der Weber zufrieden war.
XIII
Nach seiner Rückkehr in die Normandie schloss sich Orm wieder der Truppe seines letzten normannischen Dienstherrn an, eines Mannes namens Guy fitz Gilbert.
Fitz Gilbert war ein kleiner Landbesitzer und Drittgeborener, der bei Williams neuestem Feldzug sein eigenes Glück suchte, wie es normannische Edelleute seit Generationen taten. Doch durch mehrere Schichten der Hierarchie hindurch galt fitz Gilberts Loyalität Graf Robert von Mortain, der dank seiner Mutter, der Tochter des Gerbers, einer von Williams Halbbrüdern war. Und bald nach seiner Rückkehr im Mai wurde Orm an Roberts Hof versetzt. Fitz Gilbert bekam eine Entschädigung, und Orm erhielt einen höheren Sold – und eine größere Verantwortung.
Orm machte sich keine Illusionen über seine Fähigkeiten. Er wusste, dass er ein guter Krieger war, und er hatte Einheiten von zehn oder zwölf Männern befehligt, aber im Umgang mit Feldherren fühlte er sich überfordert. Da er jedoch entschlussfreudig, intelligent und – noch wichtiger – des Lesens und Schreibens kundig war, traute man ihm zu, einen Beitrag zu der gewaltigen logistischen Übung zu leisten, die in
diesem Sommer die gesamte Normandie in Anspruch nahm: die Vorbereitung der Invasion.
Orm befand sich also in einer Position, von der aus er fasziniert zusehen konnte, wie William seine Angriffspläne gegen England schmiedete.
Zunächst musste er seine eigenen Grafen überreden, ihm zu folgen. Nur wenige von ihnen hatten sich zuvor überhaupt übers Meer gewagt. England war stark und hervorragend organisiert, und Harold war als tüchtiger Feldherr bekannt. Ein Angriff auf England würde um ein Vielfaches schwieriger sein als ein Feldzug gegen die Grafschaft Maine oder die Bretagne.
Doch wenn England stark war, so war es auch reich. Und der Reichtum, der in diesem Spiel ihres Lebens zu gewinnen war, verführte Williams Krieger. Von dem Herzog unter Druck gesetzt, beschwatzt und bestochen, schlossen sie sich ihm einer nach dem anderen an.
Währenddessen schickte William
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