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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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»Kometen sind wie Wolken. Oder nicht? Wie können sie wiederkommen?«
    Ambrosias schnaubte. »Woher soll ich das wissen? Frag Aristoteles, Archimedes oder Pythagoras – nicht mich! Wichtig ist nur, dass dieser wiederkommt. Darauf beruht alles, was in der Prophezeiung beschrieben wird. Meine Angehörigen – allesamt Gelehrte – nennen
sie Isoldes Menologium, einen Kalender. In gewissem Sinn ist sie nämlich ein Kalender – aber keiner der Jahreszeiten, sondern einer der Großen Jahre des Kometen, die jeweils viele unserer Erdenjahre umspannen, ein Kalender der wichtigen Ereignisse in der Menschheitsgeschichte. Versteht ihr?
    Die ersten vier Zeilen sind ein Prolog, und in der ersten Strophe ist dann beispielsweise die Rede vom Erscheinen des Kometen im Jahr der sächsischen Revolte gegen Vortigern. Dann vergehen neunhunderteinundfünfzig Monate – das erste Große Jahr –, bevor der Komet wiederkommt, und fünfunddreißig Monate danach …«
    »Neunhunderteinundfünfzig Monate«, sann Ulf. »Das sind … wie viele Jahre? Siebzig? Achtzig?«
    Ambrosias sah ihn an. »Ihr Leute seid Händler, nicht wahr? Ob ihr nun des Lesens und Schreibens mächtig seid oder nicht, ihr könnt es euch selbst ausrechnen.«
    »Das geht mir zu schnell«, sagte Wuffa. »Weshalb sprichst du von Vortigern?«
    »Weil die erste Strophe von ihm handelt. Schaut, hier – ach, ihr könnt es ja nicht lesen! ›Ein goldener Mann / verschmäht silberne Treue. / Im Leben großer König / im Tod ein Zwerg.‹«
    »›Goldener Mann‹?«
    Ambrosias streckte die Hand aus und zupfte an einer Strähne von Wuffas blondem Haar. »Gibt es bei euch keine Spiegel? Und was den ›großen König‹ betrifft …«
    »Das ist es, was ›Vortigern‹ bedeutet.«

    »Ja! Es bezieht sich eindeutig auf die Revolte gegen ihn. Ihr seht also, dieses Wissen ermöglichte es meinen Vorfahren, den Beginn des ersten Großen Jahres auf das Datum der Revolte festzulegen. Und dann konnten sie nach vorn schauen, auf die Ereignisse, die in der zweiten Strophe vorhergesagt werden, um deren Datum zu berechnen. Isolde war inzwischen längst tot, und ich war noch nicht einmal geboren. Aber die in dem Vers vorhergesagten Ereignisse sind eingetreten, und zwar im fünfunddreißigsten Monat des Großen Jahres. ›Sieh den Bären, erlegt / vom Wolf des Nordens.‹«
    Wuffa warf Ulf einen Blick zu. »Ammanius hat uns erzählt, dass ›Artorius‹ ein Spitzname gewesen sein könnte …«
    »Der Bär«, sagte Ambrosias. »Und was ist der Wolf anderes als ihr Germanen? Es ist sogar dein eigener Name , Wuffa.« Seine feuchten Augen glänzten. »Und wenn man die Monate zusammenzählt, stimmt das vorhergesagte Datum von Artorius’ Tod. Meine Prophezeiung sagt also die Wahrheit. Die Geschichte ist der Beweis dafür – der Beweis!«
    Wuffa verspürte eine ungewohnte Angst. Er war ein Mann der Tat und nicht daran gewöhnt, eingehend über solch mystische Fragen nachzudenken. Es war reiner Zufall, dass er in Lunden auf den Bischof getroffen war, und nur der Zufall hatte sie beide hierher geführt – aber ein Zufall, der vor Jahrhunderten vorhergesagt worden zu sein schien. Und doch war ihm klar, dass es ihm Vorteile bringen konnte, wenn es ihm gelang, das alles zu begreifen.

    Aber Ulf, seinem Rivalen, war gewiss derselbe Gedanke gekommen.
    Schon kam er zur Sache. »Und wie geht es weiter? Was sagt die Prophezeiung über die Zukunft?«
    Ambrosias zitterte jetzt. Er hob sein Dokument hoch, schien die Worte jedoch auswendig zu kennen:
    Der Komet kommt / im Monat März.
Trocken und dünn / wird des Heiligen Blut.
Ein Reichstraum strömt / in goldene Köpfe …
    Wuffa war erneut verwirrt. »Was bedeutet das?«
    »Versteht ihr denn nicht? Das Blut der Heiligen wird dünn und trocknet … Ein Traum strömt in goldene Köpfe … Isoldes Blut trocknet in meinen alten Adern; ich bin der Letzte ihrer Linie. Aber ihr seid hier, mit euren goldenen Köpfen, um den Traum in euch aufzunehmen und ihn weiterzutragen. Ich wusste, dass diese Nacht kommen würde. Selbst als meine Familie mich hier zurückgelassen hat, wusste ich, dass ich nur hier bleiben und auf das Ende des zweiten Großen Jahres warten musste, darauf, dass diese neunhundertachtzehn Monate vergingen und der Komet wieder erschien. Denn diese Worte, die vor zweihundert Jahren einer unwissenden jungen Frau in den Wehen über die Lippen kamen, beschreiben unsere Begegnung  – genau jetzt, hier, in dieser Nacht . Und die einzige

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