Eroberer
den heiligen Aidan von Iona gerufen, damit er sein heidnisches Volk bekehre. Und während Rom einst Missionare ins heidnische Britannien geschickt hatte, war das Christentum in Northumbrien aus diesen Anfängen derart erstarkt, dass nun northumbrische Missionare in den Ländern der Franken und Germanen tätig waren.
Und es war reich. Wenn man die Holzwände der Kirche in Glas verwandeln könnte, sann Aelfric, würde man von dem plötzlich offen zutage liegenden Gold und Silber darin geblendet werden. Vor hundert Jahren war Lindisfarena zum Grab des heiligen Cuthbert geworden, und seither waren beständig Pilger gekommen, die alle Geld brachten, selbst wenn es jeweils nur ein oder zwei Pennies waren.
An diesem bemerkenswerten Ort befand sich nun Aelfric, die ihr Geschlecht verbarg, damit sie ein paar Bücher lesen konnte.
Die Helligkeit nahm zu. Ihr wurde klar, dass sie
keine Ahnung hatte, wie viel Zeit sie bereits damit verschwendet hatte, hier im Meer herumzustehen. Andererseits war heute ein Fastentag, einer von nicht weniger als zweihundert im Jahr, und sie konnte jederzeit auf ihre Mahlzeiten verzichten, um im Skriptorium zu arbeiten. Sie stapfte aus dem Wasser und lief durch den dicken Sand zum Kloster zurück.
III
Belisarius aus Konstantinopel, der bei seiner Ankunft in Britannien nichts von Isoldes Menologium wusste, hatte nicht die Absicht gehabt, nach Lindisfarena zu kommen. Nach einer langen Reise von Griechenland übers Mittelmeer war er mit seinen kostbaren, in Schweinsleder eingeschlagenen und in stabilen Koffern verstauten Büchern auf einem fränkischen Schiff von Massilia bis zur Hafenstadt Brycgstow gefahren. Er war gekommen, um sich mit einem Händler namens Theodoric zu treffen, mit dem er schon häufig zusammengearbeitet hatte, und ihm seine antiken Bücher zu bringen. Sein Aufenthalt in Britannien hätte dort enden sollen, wo er begonnen hatte, in Brycgstow. Dass es anders kam, hatte er dem Zufall zu verdanken – und seinem leichtsinnigen Riecher für Abenteuer.
Nachdem er von Bord gegangen war, hatte er noch ein oder zwei Stunden Zeit bis zu seiner Verabredung mit Theodoric, und so spazierte er durch die Stadt.
Brycgstow war ein primitiver Ort. Von den Germanen ohne jede erkennbare zivilisierte Struktur errichtet, drängten sich die hölzernen Gebäude der Stadt wie Kuhfladen auf einer Weide zusammen, und die Straßen verliefen kreuz und quer wie Schafsspuren.
Im Hafengebiet wimmelte es von Menschen, und am Ufer häuften sich die Waren – hier gab es keine Kais oder Lagerhäuser, man stellte seine Fracht einfach auf dem schmutzigen Strand ab. Belisarius hängte sich ein Säckchen mit syrischen Gewürzen um den Hals, um den Gestank von Blut, Pisse und Dung fern zu halten, und versuchte, nicht zusammenzuzucken, wenn seine Stiefel mit schmutzigem Schlamm bespritzt wurden. Auf Reisen außerhalb des Imperiums führte er immer mehrere Paar Schuhe mit.
Brycgstow empfing jedoch Schiffe aus sämtlichen Kleinkönigreichen Britanniens, aus Franken und den nördlichen Ländern, von den Mauren Iberiens, den Goten Italiens und natürlich auch aus dem Oströmischen Reich. Es war ein Miniaturmodell der ganzen Welt, dachte Belisarius, wie alle Hafenstädte.
Und Brycgstow war in ganz Europa als Sklavenmarkt berühmt. Der Westen Britanniens war ein Schnittpunkt zwischen den aggressiven, streitsüchtigen germanischen Königreichen und den älteren britischen Herrschaftsgebieten; die unaufhörlichen Kriege waren gut für den Sklavenhandel. Viele der verschüchterten Gefangenen in ihren Pferchen waren Lateinisch sprechende Briten, die sich noch immer als Römer betrachteten und häufig von unrealistischen Hoffnungen erfüllt waren. Doch die diversen germanischen Stämme waren keineswegs darüber erhaben, ihresgleichen zu verkaufen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekamen. Für Belisarius, der aus einer griechischen Familie stammte, sahen sie alle gleich aus. Er
selbst besaß nur wenige Sklaven; er fand die Sklaverei verabscheuungswürdig und war erleichtert, als er das Hafengebiet hinter sich ließ und tiefer in die Stadt hineinschlenderte.
Er ging durch ein Viertel voller Manufakturen, vorbei an einem Schuster, einem Eisenarbeiter und einem Silberschmied, und gelangte zu einem kleinen Markt, wo Tiere um Stände wimmelten, in denen sich Fleisch und mickrig aussehendes Obst und Gemüse stapelten. Die Leute waren von einem rauen Schlag, hochgewachsen, oftmals blond, aber sie wirkten ziemlich gesund und
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