Eroberer
von dicken schwarzen Augenbrauen beherrscht, die seine niedrige Stirn betonten. Er war kleiner als Belisarius, seine Kleider mochten einmal schick gewesen sein, waren jetzt jedoch vielfach geflickt und schäbig, und er war bleich und schweißnass. Er hob seine verbundene Hand und sagte in akzentuiertem Latein: »Mein Name ist Macson. Ich kenne dich.«
»Ich fürchte, ich …«
»Hilf mir.« Und er verlor das Bewusstsein und brach zu Belisarius’ Füßen zusammen.
IV
Gudrid war schon immer fasziniert gewesen von jener alten Familiensage, die von ihrem Vorfahren Ulf, dem Wanderer, von Sulpicia, dem britischen Mädchen, das er geliebt und verloren hatte, und von der seltsamen Prophezeiung des römischen Christengottes berichtete, die Ulf auswendig gelernt, dann vergessen und so in gewissem Sinn ebenfalls verloren hatte. Vielleicht lag es an ihrem eigenen, so tristen Leben, dass sie sich von dieser Geschichte über eine zum Scheitern verurteilte Liebe in der Vergangenheit angezogen fühlte.
Doch erst nach der zufälligen Ankunft eines britischen Sklaven hatte sie die Gelegenheit, in dieser Beziehung etwas zu unternehmen.
Sie arbeitete an jenem Tag allein in einem Waldstück hoch über dem Fjord. Hier waren die Bäume bereits gefällt worden, und Gudrids Aufgabe bestand darin, Zweige und Äste von den Stämmen abzuschlagen, die dann bergab geschleppt werden würden. Sie arbeitete mit großem Eifer, und die eiserne Klinge ihrer mit Walfischtran eingeölten Axt blitzte auf, wenn sie ins Holz fuhr. Gudrid war zwanzig Jahre alt, hochgewachsen und kräftig. Dies war keine Frauenarbeit – aber, wie ihr Gatte Askold ihr einmal auf seine grausam gleichgültige
Art und Weise erklärt hatte: Eine Gattin, die ihm keinen einzigen Sohn geschenkt hatte, konnte schließlich auch kaum als Frau gelten.
Jedenfalls gefiel ihr die Plackerei. Es war wie Rudern oder Laufen, harte Arbeit, bei der einem der Schweiß ausbrach und die Lungen pumpten, bei der sich alle Gedanken, alle Zweifel, Sorgen und Ängste in nichts auflösten.
Und es gefiel ihr hier oben. Sie legte eine Pause ein und bog ihren schmerzenden Rücken durch. Der Himmel, eine tiefblaue Kuppel, war völlig wolkenlos. Vor ihr stiegen die grün gewandeten Berge, die den Fjord umgaben, fast senkrecht aus dem Wasser und erstreckten sich bis zu einem Horizont, der blau im sonnenbeschienenen Nebel verschwamm. Sie sah kahle Stellen gerodeten Waldes, die sich hangaufwärts vorarbeiteten; dort hatten die Leute ihre Höfe angelegt, während sie den Wald, der die Berge bedeckte, langsam in Häuser, Hallen und Schiffe verwandelten.
Heute war das Wasser so still wie Öl. Boote jeder Größe glitten wie Insekten dahin, Segel blähten sich sanft, Ruder tauchten platschend ins Wasser, Drachensteven ragten stolz auf, und alles wirkte im Vergleich zu den Bergen ringsherum winzig klein. Es war ein milder Frühlingstag, aber selbst im schlimmsten Winter fror das Salzwasser des vom Meer abzweigenden Fjords niemals zu. Im Winter kamen sogar die Wale aus dem Meer auf der Suche nach Hering in den Fjord geschwommen. Der Fjord war eine Speisekammer – und ein Verkehrsweg. In diesem Gebiet tief
eingeschnittener Täler und steiler Bergketten gab es nur wenige Straßen; die kleinen, verstreuten Gemeinschaften eines Fjords kommunizierten mit denen des nächsten per Boot.
Es hieß, die Fjorde seien so tief, wie die Berge um sie herum hoch waren, aber Gudrid hatte keine Ahnung, woher irgendjemand das wissen wollte. Vielleicht war es eine Erinnerung an die Riesen vom Rand der Welt, die diesen Fjord und die vielen hundert anderen an dieser Wikingerküste angeblich erschaffen hatten. Nun, die Riesen hatten gute Arbeit geleistet, fand Gudrid. Die Fjorde mussten tief sein, sonst wäre kein Platz für die Wale.
Der Rücken tat ihr ein bisschen weh. Sie spuckte in die Hände, nahm ihre Axt und machte sich wieder daran, die Stämme von Ästen zu befreien.
Gegen Mittag kam ihr Mann den Hang heraufgestiegen. In der dunstigen Luft wirkte sein stämmiger Körper dunkel und kräftig. Seine ersten Worte waren ein Knurren. »Ich hätte wissen müssen, dass ich dich hier oben finden würde. Ich musste Birgitta fragen.«
Sie richtete sich auf und trank einen ordentlichen Schluck Wasser aus ihrem Lederbeutel. »Ein Mann, der seine Schwägerin fragen muss, wo seine Frau ist. Was für ein elendes Leben du führst, Askold.«
Sie tauschten diese Hiebe beinahe lustlos aus. Nach fünf Jahren Ehe waren solche
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