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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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hatten gute Zähne. Viele trugen auffallende Fibeln an den Schultern, und Ketten aus Perlen oder silbernen Ritualgegenständen spannten sich über ihre Brust. Männer und Frauen trugen das Haar gleichermaßen straff hochgebunden.
    Mit seinem glattrasierten griechischen Gesicht und seiner bescheidenen, aber hochwertigen Kleidung stach Belisarius aus der Menge hervor. Er hatte jedoch keine Angst. Oströmer trieben hier seit Jahrhunderten Handel, seit der Abspaltung dieser alten Provinz vom zusammengebrochenen Westreich. Und Belisarius’ Vater, der als Soldat unter dem großen Kaiser Konstantin V. gedient hatte, hatte seine Söhne so erzogen, dass sie sich wehren konnten. Vierzig Jahre alt, aber immer noch in guter körperlicher Verfassung, gab Belisarius jeden feindseligen, herausfordernden Blick unbefangen zurück.
    Tatsächlich war Belisarius keineswegs ängstlich, sondern vielmehr neugierig. Obwohl er Buchhändler
war, hielt er sich für einen Schriftsteller, und auf seinen Reisen von Germanien nach Iberien, von Persien nach Britannien hatte er seine Beobachtungen aufgezeichnet  – er betrachtete sie als ein Mosaik seiner Zeit. Im Augenblick bestand sein Projekt zwar nur aus einem Haufen disparater Anmerkungen, Notizen und Skizzen, doch sobald er Zeit hatte – wenn er sich mit seiner Frau und seinen Jungen in seinem Stadthaus in Konstantinopel zur Ruhe setzte –, würde er alles zu einer zusammenhängenden Erzählung verschmelzen. Selbst eine Geschichte aus einer Lehmhütten-Stadt, die so unansehnlich war wie diese, mochte auf eine matronenhafte Leserin im Osten durchaus eine gewisse erschreckende Faszination ausüben …
    In solche Gedanken versunken, stieß er auf die Kirche und das Gottesurteil.
    Neugierig hielt er an der offenen Tür inne. Verglichen mit den ekklesiastischen Herrlichkeiten Konstantinopels hätte er diese Kirche kaum als solche erkannt. Sie war jedoch aus Stein erbaut, besaß einen vernünftigen rechteckigen Grundriss, und die Flechten auf dem regennassen Stein verrieten ihr Alter. Aber in dem kleinen, dunklen, vollen Raum im Innern, aus dem ihm ein scharfer, heißer Gestank wie aus einer Schmiede entgegenwehte, fand eine ihm völlig unbekannte Zeremonie statt.
    In der Nähe des Altars brannte in einem Kohlenbecken ein Feuer, über dem eine rot glühende Eisenstange lag. Ein dunkelhaariger Bursche mit niedriger Stirn stand wartend neben dem Kohlenbecken; ihm
war ganz offenkundig unbehaglich zumute. Ein Priester nahm einen Becher Wasser, ging an den Reihen der wartenden Männer entlang und bespritzte ihre Stirn, während sie sich durch germanische Gebete brummelten.
    Dann zog der Priester einen schweren Handschuh an, hob das Eisen vom Feuer und legte es auf einen Holzpfahl, der mit einem Zischen versengt wurde. Offenbar war die Stange heiß genug. Der Priester nickte dem dunkelhaarigen Mann zu und trat zurück.
    Der Dunkelhaarige, das Opfer, hob die bloße Hand zu dem Eisen. Er ließ den Blick mit unübersehbarer Verachtung über die anderen schweifen, sogar über den Priester – aber dann traf sein Blick auf Belisarius, und seine Augen weiteten sich ein wenig, als erkenne er ihn wieder. Belisarius verspürte nicht den Wunsch, persönlich in diese Sache hineingezogen zu werden. Aber er konnte sich nicht von dem Schauspiel losreißen.
    Der Dunkelhaarige schloss die Hand um die Stange. Ein grauenhaftes Zischen ertönte, und ein Geruch wie von verbranntem Schwein breitete sich aus. Die Männer in der Kirche, vielleicht seine Ankläger, zuckten zusammen und wandten sich ab. Aber der Dunkelhaarige stand trotzig da, funkelte sie an und reckte die Stange mit seiner rauchenden Hand in die Höhe. Bewundernswerterweise gab er keinen Laut von sich. Dann ging er mit abgezirkelten, abgezählten Schritten zwischen den beiden Reihen von Männern hindurch. Nach neun Schritten öffnete er die Hand. Das Metall
klebte an seiner verbrannten Haut und riss sie von der Handfläche, bevor die Stange scheppernd zu Boden fiel.
    Der Priester wickelte ein schmutziges Tuch um die verletzte Hand. Die Ankläger verließen einer nach dem anderen gemessenen Schrittes die Kirche. Belisarius verstand kaum etwas von der holprigen Sprache der Germanen, aber er schnappte ein paar Worte auf, die der Priester mit ernster Stimme intonierte: »Drei Tage .«
    Und als der dunkelhaarige Mann die Kirche verließ, kam er zu Belisarius’ Bestürzung direkt auf ihn zu. Er schien um die dreißig zu sein, und sein kleines Gesicht wurde

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