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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Zeiten der großen Wanderung. Wir beklagen den Verlust unserer Heimat. Wir trauern um unsere Ahnen. Und zwischendurch beklagen wir zur Abwechslung die Kürze des Lebens.«
    »Ihr seid ja ein fröhlicher Haufen«, rief Belisarius zurück.

    Bertgils grinste. »Wir sind Menschen ohne ein Leben nach dem Tod, zumindest bis auf die wenigen von uns, die erfolgreiche Krieger sind. Es gibt eine Menge Gründe für uns, Trübsal zu blasen.«
    »Aber ihr seid doch jetzt Christen.«
    »Das stimmt natürlich«, sagte Bertgils trocken. »Was diese Prophezeiung betrifft, Belisarius – ich glaube, wir brauchen schon etwas Greifbareres, was wir Aethelred und dem Witan vorlegen können. Zum Beispiel, wenn diese ›Drachen‹-Gefahr real ist – woher wird sie kommen? Aethelred weiß alles über die anderen germanischen Könige, die Pikten im Norden und die Briten im Westen.«
    »Vielleicht kommt sie aus einer ganz anderen Richtung«, erwiderte Belisarius nachdenklich. Er wandte sich an den Komputisten. »Boniface, wo wir gerade vom Menologium sprechen: Was ist mit den späteren Strophen, die vermutlich eine fernere Zukunft beschreiben? Zum Beispiel diese Sache in der siebten Strophe, dass der Drache westwärts fliegen wird. Was liegt westlich von Britannien? Es gibt jahrhundertealte Legenden von einem Land im Norden, das Thule genannt wird – könnten solche Erzählungen ein Körnchen Wahrheit enthalten?«
    »Jeder weiß, dass im Westen nur Wasser ist«, sagte Macson verächtlich.
    »Nein, das stimmt nicht«, wandte Aelfric ein. »Das haben die Mönche herausgefunden.«
    »Wie?«
    »Indem sie dorthin gefahren sind.«

    Im Verlauf der Jahrhunderte waren einige Mönche, die es Cuthbert gleichtun wollten, auf der Suche nach immer größerer Einsamkeit zu eremitischen Expeditionen ins Westmeer aufgebrochen. Die Ausgangspunkte ihrer Reisen waren Lindisfarena, dessen Mutterhaus auf Iona sowie Klöster in Irland, und sie fuhren mit zerbrechlichen kleinen Booten aus Holz und Leder namens currachs los. Viele von ihnen kamen nicht zurück  – aber einige schon, und sie erzählten von den übers Antlitz des Ozeans verstreuten Ländern, die sie gefunden hatten.
    »So ging das jahrhundertelang«, sagte Boniface. »Und unter den Mönchen bildete sich eine Überlieferung heraus, dass irgendwo dort draußen im Westen das gelobte Land der Heiligen zu finden sei. Und so fuhren sie weiter und immer weiter.«
    Dies kulminierte in der Siebenjahresreise des heiligen Brendan, des Gründers vieler Klöster, der im Westen angeblich zu einer Insel der Schafe, einer Insel der Vögel, einer Insel des Feuers und einer Insel der Trauben gelangt war. Er stieß auf eine Säule aus Glas, die sich aus dem Meer erhob. Er fand den Apostel Judas, der auf einem Felsen saß. Und so weiter.
    »Was für ein Quatsch«, sagte Macson.
    »Aber Brendan ist zurückgekommen, um seine Geschichte zu erzählen«, meinte Belisarius. »Irgendetwas hat er also zweifellos gefunden.«
    Bertgils fragte: »Worauf willst du hinaus, Belisarius?«
    »Im Menologium ist später die Rede von Seereisen.
Was, wenn die Gefahr nicht vom Land kommt, sondern vom Meer? Keiner eurer Könige schaut in diese Richtung.«
    »Aber wer sollte von dort kommen?«, fragte Bertgils. »Die Franken? Offa steht auf gutem Fuße mit ihnen. Und es ist nicht so leicht, den Ozean zu überqueren.«
    »Euer Volk ist einst übers Meer gekommen, um zu rauben und zu plündern«, rief ihm Belisarius in gelassenem Ton ins Gedächtnis. »Und vor euch die Römer.«
    »Aber das ist viele Jahrhunderte her. Jetzt ist alles anders. Schau dich um. Northumbrien ist stark – niemand wäre so dumm, hierher zu kommen. Und außerdem hätten wir die Unterstützung Merciens. Nein, Belisarius, das ist eine interessante Spekulation, aber es ist nichts dran.«
    Der Schlächter ergriff das Wort, und in der Halle wurde es still. »Ich kann dich nicht singen hören, Pater Hübschgesicht!«
    Boniface stand unsicher auf. Sein Tumor leuchtete im Lampenschein. »Leider kenne ich eure Lieder nicht, König.«
    »Dann lass uns eins von euren hören.«
    Boniface zuckte zusammen, aber aller Augen richteten sich auf ihn. »Also schön. Dies ist eine Mittsommer-Hymne, komponiert von Dom Caedmon vom …«
    »Nun mach schon!«, brüllte ein Thegn, und ein Hühnerknochen kam angeflogen.
    Boniface erschrak, begann dann jedoch zu singen.
Mit klarer, vom lebenslangen Kirchengesang geölter Stimme bot er ein schlichtes, süßes, heiteres Lied in Germanisch

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