Eroberer
Hügelkuppe war außergewöhnlich; zu seiner Rechten plätscherte das Meer direkt an die Wand der vorspringenden Klippe, und zu seiner Linken schweifte das Auge über die Gehöfte der Küstenebene zu den gerundeten Bergen dahinter. Berge und Meer, alles mit einem Blick.
Der Wächter winkte sie durch. Aelfric schien stolz auf diesen Ort zu sein, der zum Teil von ihrem Vater und seinen Vorfahren erbaut worden war. »Dort ist die Halle des Königs, wo wir meinen Vater treffen werden. Es gibt eine eigene Wohnung für den König und ein Gemach für die Frauen des Hofes – ihr seht es da drüben. Wir haben einen Brunnen, in den Fels gebohrt von den Thegns des Königs Ida, der hier vor über zweihundert Jahren gelandet ist. Er spendet uns sauberes Frühlingswasser. Und in der Kirche«, ein kompakter Steinbau, deutlich eindrucksvoller als Lindisfarenas hölzerne Kathedrale, »gibt es einen Reliquienschrein für König Oswald, der jetzt ein Heiliger ist. Darin wird seine unzerstörbare rechte Hand aufbewahrt.«
Der stets pragmatische Macson interessierte sich mehr für die Palisade. »Sieh dir das an, Belisarius. Ich habe mich schon gefragt, wie sie es geschafft haben, Fundamente in so hartes Gestein zu setzen. Schau, was sie gemacht haben.« Die Einfriedung war in Wahrheit eine Art Schachtel mit zwei Holzwänden, die man auf
den Felsboden gestellt hatte; der Zwischenraum war mit Schutt gefüllt. Sie war überhaupt nicht im Felsen verankert, sah Belisarius, aber so schwer, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen ließ.
Aelfric führte ihre Gruppe zu der zentralen Halle. Sie war durchaus eindrucksvoll, obwohl sie wie die meisten germanischen Bauten komplett aus Holz bestand, eine solide Konstruktion aus riesigen Eichenbalken. Belisarius bemerkte fasziniert, dass ein schwerer Knochenschlüssel aus der großen Eichentür ragte; offenbar war diese hölzerne Halle mit einem hölzernen Schloss gesichert.
Im Innern herrschte bereits reges Leben. Das schwere Holzgerüst der von Lammtalg-Lampen erhellten Halle war imposant; senkrechte Balken zogen sich so regelmäßig wie die Säulen eines griechischen Tempels an den Mauern entlang, und mächtige Querbalken trugen das Dach. Der Boden war mit polierten Dielenbrettern ausgelegt und mit Stroh und einem süß riechenden Kraut bestreut. In der Mitte brannte ein stark rauchendes Feuer in einer länglichen Feuerstelle, über der riesige, geschwärzte Kessel an Ketten von den Dachbalken hingen. Die Wände waren in bunten Farben bemalt, mit Blattgold geschmückt und mit Fahnen, Standarten und Wandteppichen behängt. Die traurigen Gesichter bei der Jagd erlegter Tiere – kapitale Hirsche, Wölfe, selbst die Schnauze eines Bären – ragten aus dem Glitzerwerk hervor.
Obwohl auch das Christenkreuz in der Dekoration auftauchte, bestanden die Muster der Wandbehänge
aus eckigen Abstraktionen, oder sie zeigten Figuren, die sich kühn durch ein kunstvoll gearbeitetes Dschungeldickicht oder Rankengewirr kämpften. Wieder einmal kam es Belisarius zu Bewusstsein, wie dünn der Firnis des Christentums bei diesen Germanen war.
Um die zentrale Feuerstelle herum standen Holzbänke. Das waren die Metbänke, wie Macson ihm trocken erklärte. Dort saßen bereits Männer, die sich in barschem Ton unterhielten, lachten und Bier aus Trinkhörnern tranken. Sie trugen Umhänge, die von riesigen Dornen gehalten wurden. Die Bankreihen gingen strahlenförmig von einem Punkt in der Nähe des Kopfendes der Halle aus, wo ein riesiger, aus Stein gehauener Thron voller kunstvoller Verzierungen stand. Der Schlächter war noch nicht da.
Sie mussten zusehen, dass sie den geschäftigen Sklaven und Dienern aus dem Weg gingen, die das Gelage vorbereiteten. Sie wirkten allesamt angespannt. Offenbar war es keine gesunde Beschäftigung, für den Schlächter zu arbeiten.
»Belisarius. Das ist mein Vater.«
»Du bist der Oströmer. Meine Tochter hat mir von dir erzählt. Es ist mir eine Ehre, dich kennen zu lernen.« Bertgils war ein stämmiger Mann mit glatt rasiertem Gesicht – abgesehen von dem üblichen gewaltigen Schnurrbart –, und sein schweres blondes Haar hing lose herab. An der Taille trug er ein Schwert, und unter einem ledernen Wams funkelte ein Bernstein-Anhänger. Er mochte vierzig Jahre alt sein. In seinen
Augen sah Belisarius etwas von der freimütigen Intelligenz seiner Tochter.
»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite.« Belisarius verneigte sich und überreichte Bertgils sein Geschenk für den
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