Eroberer
heidnischen, vollkommen analphabetischen, Dänisch sprechenden Dänenland würde das leuchtende Zeitalter von Beda bald nicht mehr als ein Traum sein.
Der von Alfred errungene Frieden war im vergangenen Jahr gebrochen worden, als die Dänen unter Führung ihres Kleinkönigs Guthrum erneut zum Angriff auf Wessex ansetzten. Jedoch wurden ihre Schiffe durch Unwetter zerstört; geschwächt und abgeschnitten, schloss Guthrum einen weiteren Waffenstillstand mit Alfred und zog sich zurück. Diesen Waffenstillstand hatten die Dänen mit ihrem Zwölfnächte-Angriff auf Alfreds Gut bei Cippanhamm heimtückisch gebrochen.
Und nun gab es noch schlechtere Neuigkeiten, wie Arngrim erfuhr. Seit Cippanhamm hatten sich viele Adlige aus Wessex, die allmählich das Vertrauen in die englischen Könige verloren, mit den Dänen zusammengetan.
Als Arngrim, Ibn Zuhr und Cynewulf den entmutigten Thegns alle wichtigen Informationen entlockt hatten, setzten sie sich mit Bechern voller bitterem, aber wärmendem Rindentee in den Händen auf ein paar Baumstämme. Ihre Umhänge waren taufeucht, denn der kurze Januartag ging bereits dem Ende entgegen.
»Der König verkriecht sich in seinem Zelt«, murrte Arngrim, »verrichtet seine endlosen Andachten und lässt seine Schreiber seine bedeutungslosen Gedanken aufzeichnen. Aber er unternimmt rein gar nichts.«
»Es heißt, er sinnt über das Altern des englischen Volkes nach«, sagte Cynewulf. »Unsere vitalen Jahrhunderte sind vorbei, und jetzt müssen wir weichen, so wie einst die Römer uns weichen mussten.«
Arngrim grunzte. »Er denkt viel zu viel über die Römer nach, wenn ihr mich fragt.« Alfreds Vater, der ebenfalls tief gläubige Aethelwulf, hatte seinen jüngsten Sohn schon vor dessen zehntem Geburtstag zweimal nach Rom geschickt. Die uralte Stadt, deren Bausubstanz nach Jahrhunderten der Vernachlässigung und der Brandschatzungen zusehends verfiel, hatte Alfred sehr beeindruckt. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass er eine Pilgerfahrt nach Rom plant. Er wäre nicht der Erste, der sich auf diese Weise aus dem Staub macht.«
»Das wäre eine Katastrophe«, meinte Cynewulf.
»Nun, wenn der König einen Schock hat, scheint mir, muss man ihn aus diesem Zustand befreien. Aber wie?«
»Ich glaube, ich weiß einen Weg«, sagte Cynewulf langsam.
»Du meinst deine Prophezeiung«, erwiderte Arngrim.
»Ja.« Als er Arngrims skeptische Miene bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Überleg mal, Vetter. Aebbe hat mir verdammt wenig über diese Vision aus der Vergangenheit erzählt. Sie wusste immer, dass es das einzige Pfund war, mit dem sie wuchern konnte. Aber was sie mir erzählt hat, lässt mich nicht mehr los. ›Ein Drache muss / zu Kreuze kriechen‹ Was kann das anderes
prophezeien als den Triumph Christi über die Heiden – und welcher andere christliche König als Alfred kann uns führen? Denn wenn er stürzt, wird es keinen Nachfolger geben.«
Arngrim runzelte die Stirn. »Woher willst du wissen, dass es dabei um unser Jahrhundert geht? Vielleicht spricht diese Zeile von der toten Vergangenheit oder der fernen Zukunft.«
»Nein«, sagte Cynewulf. »Die Prophezeiung enthält genaue Daten, die an das Erscheinen eines Kometen gebunden sind – die Berechnungen sind schwierig. Ich weiß , dass es darin um die Gegenwart geht, Vetter. Ich bin mir dessen sicher.«
»Das sagst du. Obwohl du diese Daten nicht mal selbst ausrechnen kannst.«
Ibn Zuhr mischte sich ein. »Ich würde deine Prophezeiung wirklich sehr gern hören. Ich kenne eine andere Rechenmethode, die fortgeschrittener ist als eure. Vielleicht könnte ich die Daten für euch entschlüsseln …«
Arngrim ignorierte ihn. »Das Problem ist«, sagte er nüchtern, »dass wir Aebbe nicht haben. Sie ist in der Hand der Dänen, und die wollen sie nach Eoforwic bringen, um sie dort zu verkaufen – mit Leib, Seele, Prophezeiung und allem.«
Cynewulf ballte seine kleine Hand zur Faust. »Dann müssen wir sie finden und zurückholen. Wenn das bedeutet, dass wir bis nach Eoforwic reisen müssen – nun, dann tun wir das eben, denn wir müssen dem König neue Hoffnung schenken. Bist du dabei, Vetter?«
Arngrim zögerte. Er hatte das Gefühl, dass er hier bleiben sollte; sein Instinkt befahl ihm zu kämpfen. Man sprach über Mittel und Wege, von diesem Lager im Sumpf aus einen Gegenangriff auf die Dänen zu unternehmen. Aber wenn es ihnen nicht gelang, den König aus seinem gelehrten Torpor herauszureißen, würde es vielleicht gar
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