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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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schaute Cynewulf auf einen viel befahrenen Wasserweg hinab. Dänische Schiffe arbeiteten sich mit klatschenden Rudern voran, die Segel beschlagen und den Mast umgelegt, damit sie unter der Brücke durchkamen. Aber es gab auch andere Wasserfahrzeuge: Einbäume und Boote, die kaum mehr waren als mit Leder überzogene Gerüste wie die Currachs, die einst die irischen Mönche aufs Meer hinausgetragen hatten. Diese kleineren, mit Fischen, Aalen und getrockneten Schilfrohrbündeln randvoll beladenen Boote waren von Engländern bemannt, deren Vorfahren
schon vor den Dänen generationenlang vom Fluss gelebt hatten.
    Jenseits der Brücke folgten sie einer guten Straße, die vom Flussufer durch ein Gewirr in sich zusammengesunkener Holzbauten direkt zu einem Torhaus in den massiven römischen Mauern führte. Jahrhundertelang den Unbilden des Wetters und der Kriege ausgesetzt, waren die Mauern häufig ausgebessert worden, aber noch immer doppelt mannshoch. In einer Ecke hatte man einen Turm errichtet, der viel primitiver war als die ursprünglichen römischen Konstruktionen; vielleicht hatte ihn ein längst verstorbener northumbrischer König dorthin gepflanzt. Leofgar zufolge hatten die Dänen hier eine Zeit lang einen englischen Marionettenkönig installiert, aber jetzt hatten dänische Könige die Macht übernommen, und der neueste Herrscher plante einen richtigen Palast, ein Wunderwerk aus Holz, das in der Südostecke der Mauer gebaut werden sollte.
    Am Torhaus wurden sie von brutal aussehenden dänischen Kriegern angehalten, die einen Zoll verlangten. Nachdem Arngrim bezahlt hatte, führte Leofgar sie voller Zuversicht in die Stadt.
    Hinter den Mauern wirkte alles noch beengter, als Cynewulf erwartet hatte. Überall drängten sich niedrige Holzbauten um die Füße der viel größeren römischen Ruinen. Die Menschenmenge, das Geschrei der Straßenhändler und vor allem der Gestank von menschlichen Abwässern, faulendem Stroh und tierischen Ausscheidungen überwältigten ihn. Es war, als
ginge man in einen riesigen Komposthaufen hinein. Aber dieser überfüllte Ort war voller Leben, und der nicht an Städte gewöhnte Cynewulf spürte, wie in seinem Innern eine gewisse Erregung aufkeimte.
    Die Menschen waren bunt gekleidet; sie trugen gelb, rot, schwarz und blau gefärbte Kittel und Beinlinge, darüber Umhänge gegen die Winterkälte. Diese hatten die Männer jedoch zurückgeworfen, sodass eine Seite ihres Körpers stets unbedeckt war, und sie führten alle mindestens eine Waffe mit sich, ein Schwert, eine Axt oder ein Messer. Sie waren hochgewachsen, muskulös und Furcht einflößend – und man konnte nicht auf den ersten Blick erkennen, wer Däne und wer Engländer war.
    Wenn die Menschen eindrucksvoll waren, so galt das für ihre Wohnstätten weniger. Die primitiven Holzkonstruktionen besaßen ein Dach aus zerzaustem Stroh oder Torf, und die Wände bestanden aus geflochtenen Haselnusszweigen oder Weidenruten und waren mit Lehm oder Dung abgedichtet. Die dänische Besetzung Jorviks zählte erst ein Dutzend Jahre, daher war keine dieser Hütten älter – und dennoch sanken ihre unförmigen Hüllen unter dem ewigen Bombardement des nördlichen Regens bereits in die schmutzige Erde.
    Handel und Gewerbe schienen erstaunliche Ausmaße zu haben. Die langen, schmalen Häuser machten sich gegenseitig die Fronten an den Hauptstraßen streitig. In den Werkstätten hinter diesen Häuserfronten schabten Gerber, hämmerten Schuster, drehten
Töpfer ihre Räder und bedienten Weber ihre Webstühle, deren Wollfäden mit gelochten Scheiben aus gebranntem Ton beschwert waren. Leofgar, der Waffenhändler, stand mit vielen der Schmiede auf freundschaftlichem Fuße. In den zur Straße hin offenen Räumen der Häuser wurden Waren aller Art zur Schau gestellt, von Irdenware über Tafelgeschirr und Besteck aus Holz sowie Schmuck bis zu gebratenen Ratten, die für einen Bruchteil einer Silbermünze an Kinder verkauft wurden. Vor den Läden der Tischler häuften sich Becher und Teller, aus Escheblöcken mit dem Rad gedreht, zu Dutzenden praktisch identisch miteinander  – verblüffend, wenn man an handgefertigte Waren gewöhnt war. Cynewulf war fasziniert von einem Laden, in dem es nichts als aus Leder oder Maulwurfsfell genähte Schuhe gab, die ein Regal nach dem anderen einnahmen, wie Vögel auf der Stange.
    Ibn Zuhr befingerte einen in dunklem Karmesinrot gehaltenen, symmetrischen und hübsch glasierten Keramikkrug, ohne das dänische

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