EROBERT VON EINEM ITALIENISCHEN GRAFEN
meiden! Der einzige Vorteil lag darin, dass Frauen wie Vittoria nicht erwarteten, dass man sie heiratete.
Alessio ging ins angrenzende Ankleidezimmer und zog sich an. Als er ins Schlafzimmer zurückkam, wartete Vittoria schon auf ihn.
„Alessio!“ Sie umarmte ihn leidenschaftlich. „Wann sehe ich dich wieder?“
Die ehrliche Antwort hätte gelautet „am liebsten nie“, aber das wäre dann doch zu unfreundlich gewesen!
„Vielleicht sollte es uns eine Warnung sein, dass wir nur um Haaresbreite einem öffentlichen Skandal entgehen“, antwortete er zurückhaltend. „Wir müssen sehr vorsichtig sein.“
„Ich weiß nicht, ob ich das ertrage. Wo wir uns endlich gefundenhaben, Liebster.“
Er unterdrückte ein höhnisches Lächeln. Seinen Vorgänger bei Vittoria kannte er, und Alessio zweifelte nicht daran, dass ein Nachfolger schon bereit stand. Sie war die schöne Tochter eines reichen Manns und verheiratet mit einem – natürlich ebenfalls reichen – Mann, der sich allzu leicht täuschen ließ.
Verwöhnt, gierig und gelangweilt.
Genau wie ich, dachte Alessio und fragte sich, ob ihn das zu ihr hingezogen hatte. Gleich und Gleich gesellt sich gern?
Plötzlich fühlte er sich erschöpft und rastlos. Die Hitze in Rom nahm ihm beinah den Atem. Unwillkürlich fiel ihm der kühle Wind ein, der um Felswände wehte, und Berge, über die Wolken zogen. Alessio sehnte sich danach, den erdigen Geruch des Walds auf den Hängen einzuatmen, nachts aufzuwachen und nichts als Stille zu hören.
Ich brauche Abstand zu allem, sagte er sich.
Kein Problem. Sein Urlaub war längst überfällig. Einige kleine Terminänderungen in der Bank, und ich kann mich auf den Weg machen, dachte Alessio, während Vittoria sich verführerisch an ihn presste.
Sanft, aber unerbittlich schob er sie aus dem Schlafzimmer in den geräumigen Flur, in dem Giorgio mit ausdrucksloser Miene wartete. In diesem Moment klingelte es an der Eingangstür zur Wohnung.
„Ich mache auf, Giorgio“, sagte Alessio. „Begleiten Sie die Signora über die Hintertreppe zum Taxi.“ Er löste sich aus Vittorias Griff und versicherte ihr leise, dass er sie anrufen würde – allerdings erst, wenn er es für sicher hielt.
Im Weggehen warf sie ihm einen betrübten und zugleich misstrauischen Blick zu, dann war sie verschwunden.
Aufatmend fuhr er sich durchs Haar.
Wieder klingelte es. Seufzend ging Alessio zur Tür und öffnete.
„Tante Lucrezia!“, begrüßte er die große, grauhaarige Frau, die ungeduldig mit dem Fuß gegen die Schwelle klopfte – ohne Rücksicht auf ihre eleganten Schuhe. „Was für einenette Überraschung!“
Während sie an ihm vorbei in die Wohnung ging, warf sie ihrem Neffen einen drohenden Blick zu. „Sei kein Heuchler, Alessio! Dass ich dir willkommen bin, erwarte ich nicht.“ Einen Augenblick lang verstummte sie und lauschte dem Klang eines startenden Autos und dem Zufallen der Hintertür. „Deine andere Besucherin ist also entwischt“, meinte sie und lächelte säuerlich. „Tut mir leid, deine Pläne verdorben zu haben.“
„Ich mache nur selten Pläne“, erwiderte er sanft. „Lieber lasse ich mich überraschen.“
Er führte sie in den Salon, der – wie ein kurzer Blick Alessio überzeugte – in der üblichen tadellosen Ordnung erstrahlte. Die verräterischen Gläser waren weggeräumt, zusammen mit den Weinflaschen, der Karaffe Grappa sowie den Karten, mit denen er und Vittoria Strip-Poker gespielt hatten.
Die Türen zum Balkon standen offen und ließen die Morgensonne herein, zugleich wichen die letzten Spuren des Dufts nach Wein und dem süßlichen Parfüm, das Vittoria benutzte.
Alessio nahm sich vor, Giorgios Lohn umgehend zu erhöhen, während er seine Tante zum Sofa führte und sich ihr gegenüber hinsetzte.
„Was verschafft mir das Vergnügen deines Besuchs?“, erkundigte er sich übertrieben höflich.
Sie schwieg einen Moment und erwiderte dann kurz angebunden: „Ich möchte mit dir über Paolo reden.“
Erstaunt sah er sie an. Giorgios Erscheinen mit silberner Kaffeekanne, Tassen und Keksen verschaffte Alessio die Chance, seine Gedanken zu sammeln.
Als sie wieder allein waren, sagte Alessio: „Du erstaunst mich, Tante Lucrezia. Ich bin nicht der Richtige, um dir einen Rat zu geben. Schließlich hast du mir immer zu verstehen gegeben, dass ich deinem Sohn ein schlechtes Beispiel liefere.“
„Stell dich nicht dumm!“, erwiderte sie brüsk. „Natürlich will ich keinen Rat von dir … sondern
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