Eros und Asche
werfen, doch dazu kam es nicht (und heute war ich schon wieder in der Gegend allein, aber zum Trost der Kauf einer Bootsglocke im Nautikladen).
Eine Praktikantin holt den Autor gegen Abend im Hotel ab, und zu Fuß geht es zum Kulturinstitut, das neben der deutschen Botschaft liegt. Dort gleich eine Führung durch den schönen Garten und über die große Terrasse, nur leider mit einem lebensgefährlichen NATO-Zaun, den man nicht mehr loswird, da ihn keiner entsorgen kann. Und im Vortragssaal, an der Seite des Institutsleiters, der deutsche Botschafter, ein freundlicher älterer Herr und Meister unverbindlicher Einführungsworte (der Autor könnte auch Musiker, Bildhauer oder Pantomime sein). Nach ihm ergreift der Hausherr das Wort, dann folgt ein Einheimischer, der ganz dem öffentlichen Bild von einem Dichter gleichende Vorsitzende des portugiesischen PEN, einer Gruppierung, mit der ich noch nie zu tun hatte. Der Vorsitzende hat ein paar übersetzte Passagen aus Wo das Meer beginnt gelesen und sagt dazu schmeichelhafte Worte – irgendwo unsichtbar zwei simultane Übersetzerinnen; das Drumherum ist perfekt, nur das Publikum fehlt. Angeblich funktionierte die Post nicht, und die in Aussicht gestellten portugiesischen Verleger haben an dem Abend auch etwas Besseres vor, trotzdem sie ein deutsches Buch gratis in ihrer Sprache bekämen. Auf jedem der zahlreichen freien Stühle liegt ein kleines Heft mit den Übersetzungsproben und Angaben zum Autor – besser könnte dieser Abend gar nicht vorbereitet sein, nur ist es ein Abend aus dem zwanzigsten Jahrhundert, der heute keine rechte Chance mehr hat. Der Kreis der Gestrigen geht hinterher noch essen, die wahren Fragen kommen auf den schweren Holztisch in dem reich gekachelten Lokal: Welchen Portwein soll man trinken? Ist man für Benfica oder Sporting Lissabon? Natürlich für Sporting, den Verliererverein mit seinem wahren, aus dem Volke kommenden Fußball; und der beste Portweinjahrgang war 1931. Und noch etwas stellt sich während des Essens heraus: Der sympathische PEN-Vorsitzende hat hier dasselbe Lieblingslokal wie der Autor aus Deutschland, der mit seinen Büchern in Portugal niemals landen kann, nämlich das Lokal zum Ersten Mai in der Rua da Atalaia. Herr G., der Institutschef, fährt den Gast schließlich zum Hotel. Beim nächsten Mal sei der Saal voll, sagt er, und der Autor glaubt ihm, wie er auch weiter Bücher schreibt, als sei’s noch die Zeit vor den Fernseh-Events und den Rankings, vor Harry Potter und Sorglos-Paketen für Buchhandelsketten, und als man auf Umschlagfotos noch grimmig dreinschauen und sogar rauchen durfte wie Cortázar.
Immer wieder das Unterscheiden zwischen der Zeit, in der M. sich bewegt hat, ganz in seinem Element, und den Jahren danach; und je mehr dem schreibenden Freund wieder einfällt aus dieser Vergangenheit, desto mehr Wert legt er aufs Unterscheiden, besonders vor einem laufenden Fernsehgerät – Fernsehen nach den Tagen von Lissabon in einem Zustand der Erschöpfung, irgendein Scheingespräch über gefährdeten Lebenssinn. Eine Sachbuchautorin, psychologisch gefärbt, ein Kirchenmann und ein Ex-Politiker, Sozialexperte, eine Schauspielerin (sehr beliebt, für viele sexy) und ein bekannter Scherzemacher lassen sich vom Moderator Worte in den Mund legen und das Wort abschneiden, je nach Lage der Dinge. Angeblich möchte er Streit über die Frage, wie man hier sinnvoll leben könne, aber die Teilnehmer denken gar nicht daran zu streiten, sie geben nur Meinungen zum Besten und hören, je prominenter sie sind, weder den anderen noch sich selbst zu; sie sagen Sätze, als würden sie ihren Part in einem Drehbuch memorieren (ZDF-Zweiteiler, der in Südafrika spielt: Starke Frau, die Millionärsmann den Rücken gekehrt hat, lernt dort Armut und Liebe kennen).
Unsere erbittertste Auseinandersetzung über die Gestaltung der Welt und den Sinn des Lebens fand einige Monate nach dem Abitur statt, im September neunzehnhundertachtundsechzig in einem Lokal auf einer Klippe bei Puerto de la Cruz. Ich erinnere mich an einen warmen, aber stürmischen Abend, wir saßen im Freien an einer Holzbrüstung, unter uns krachte das Meer gegen den Fels. Die Luft war von Gischt erfüllt, immer wieder musste ich die Brille putzen, und bei jeder sechsten oder siebten Welle war der Lärm so gewaltig, dass wir den Streit unterbrachen und im Essen stocherten, irgendetwas Enttäuschendes mit Huhn. Ich trank dazu Bier, er nur Kaffee, der Wind stellte sein
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