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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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bei Gangsterautos. Und hinter diesen Scheiben, in einem diffusen Licht und auf diffusem Lager, haben wir alles versucht, was zwei, die einander nicht kennen, nur versuchen können, ein vierundzwanzigstündiges Bemühen, mehr Willenssache als Freude, aber zwischendurch auch den Fischen in ihrer Raserei ähnlich; ein ebenfalls verwischtes Bild, dieser Kampf um nichts, während das Taxi schon unter den Platanen der Liberdade fährt und leider nicht zum gewohnten Borges, Rua Garrett – das Goethe-Institut hat den Gast im Lisboa Plaza untergebracht. Also muss dort erst verhandelt werden, bis der Gast aus dem Foyer einen Sessel aufs Zimmer bekommt, den Sessel, in dem es sich, das Gerät mit Schirm auf den Knien, arbeiten lässt, mit einem Auge, das andere immer noch abgedeckt – gleich nach der Ankunft etwas schreiben, der Freude den Zügel anlegen, vorher kann diese zartfarbene Stadt, zumal bei gefegtem tiefblauem Himmel, gar nicht betreten werden.
    »Und kein Blumenstrauß hat für mich je die farbige Vielfalt Lissabons im Sonnenlicht«, heißt es in Pessoas Buch der Unruhe , und kein sonstiges Reiseziel hatten sich M. und ich so oft und so ausführlich als gemeinsames vorgestellt. Er kannte sich in Lissabon auf seine Weise aus, er hatte die Stadt an der Seite von Frauen durchstreift, als doppelter Liebhaber, während ich allein unterwegs war, und trotzdem waren seine Beobachtungen die eines Alleinreisenden. Jeder von uns hatte seine intimen Anlaufpunkte, und manche überschnitten sich, zum Beispiel die sich wälzenden Fische vor dem Abwasserrohr am Kai der Fähren (inzwischen bereinigt, wie so vieles am Tejo); wir wussten, wovon der andere sprach, und vielleicht hat unsere Reise ja auf diese Art stattgefunden. Und doch saß ich unzählige Male in der Portweinschenke mit den Schachbrettkacheln am oberen Ende der Rua da Atalaia, halb im Freien an einem kleinen Holztisch schreibend, und habe gehofft, er würde um die Ecke biegen, ja sogar manchmal seinen Namen gemurmelt, um diese lissaboner Zufallsbegegnung (die unsere Freundschaft gekrönt hätte) durchzuspielen. Aber er kam nicht, und ich las an den Abenden, an denen ich dort schrieb und mir diese Krönung am stärksten gewünscht hatte, zwischendurch den Baron von Teive – Pessoas einzige Figur, die sich umgebracht hat – und stieß in dem Büchlein über die Erziehung zum Stoiker (der M. so gern gewesen wäre) auf eine Stelle, die ich doppelt anstrich, nur nicht mit Bleistift, wie sich’s gehört hätte, sondern mit Kugelschreiber, »Alle Paare müssen in ihren Augen einen sexuellen Grund haben, Paar zu sein.« Hatten wir diesen Grund verloren als Erwachsene? Gemessen an der Zeit im Zweierzimmer, als wir abends um die Wette unser Tagebuch führten, und manchmal der Blick des einen den anderen traf, ein Momente langes In-Schach-Halten, bis jeder weiterschrieb, ja. Und doch war in den letzten Jahren etwas davon zurückgekehrt, als sei alles andere, Zwischenzeitliche weniger grundlegend; das Original einer Freundschaft, das war unsere: die für Sekunden noch einmal aufblitzen konnte, wenn er mich am Bahnhof Zoo abgeholt hat und beim kurzen Händedruck zwar höchstens den Kopf etwas zu meinem Kopf beugte, das aber entschieden.
    Intime Sehenswürdigkeiten – bis zum frühen Abend sind schon einige der wichtigsten als noch vorhanden festgestellt. Der Elefantenmensch neben dem Café Nicola mit seinem lila Rüssel statt Gesicht. Das schäbige Ende der Rua da Atalaia, wo zwar die kleinen Hurenbars dichtgemacht haben, Orte für einen Bica nach dem Essen, nicht aber die Schenke mit den Schachbrettkacheln, der alte Schreibplatz (zuletzt genutzt für Wo das Meer beginnt ). Und in der Unterstadt gibt es noch die Videokabinengruft mit dem Geisterbahneingang in einer Seitenstraße der Rua Augusta und die Blinden mit ihren blechernen Büchsen, das stete Klappern von Münzen darin. Enttäuschend dagegen der Gang auf den Hügel zwischen Martim Moniz und Liberdade, beim letzten Besuch vor einem Jahr noch über ein Treppensystem zu erreichen, jetzt nur über gewundene Wege, da eine Flanke des Hügels bereinigt wird wie das Tejo-Ufer; überall Riesenplakate mit den Bildern geplanter Appartementhäuser, und der Rückkehrer läuft davon. Ich laufe ins Bairro Alto, in das Lokal zum Ersten Mai, auch eine intime Sehenswürdigkeit, und bestelle Schwertfisch mit Açorda , der Armenbeilage (altes Brot in Milch geweicht und viel Knoblauch, zu viel, um es augenzwinkernd erwähnen zu können;

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