Eros und Asche
Dunkeln, als ließen sie sich dadurch verlängern.
Nachmittags mit dem Sohn beim Tennis, sein Punktespiel gegen einen anderen Verein; er tut nur das Nötigste, das aber effektiv. Und in einer Pause greift sich der Vater Schläger und Ball, aber er spielt nicht, er entsinnt sich nur alter Bewegungen, die inzwischen lächerlich aussehen. (Erinnerung an das Glück, morgens an einem Sommertag auf einem gut abgezogenen Sandplatz seinen ersten Schlag zu machen; aber beglückt es nicht auch, dem Sohn bei dessen Geschicklichkeit, die ihm einst mit Weichbällen beigebracht worden ist, zuzusehen? Und Schande über alle Väter, die’s nicht ertragen, von ihren Söhnen in den Schatten gestellt zu werden.)
Abendessen mit einem befreundeten Paar, das über uns wohnt, den Hausfreunden – die Kinder studieren schon, die Eltern arbeiten umso mehr. D., aus Rumänien stammend, ist unsere Allgemeinärztin, eine kulturell Interessierte, wie man sagt, ohne dass sie einen damit behelligt; ihr Mann, früher KBW, hat eine neurologische Praxis und hält tapfer zur Eintracht wie ich. Weder medizinische noch literarische Themen spielen bei uns eine größere Rolle, wir reden über ihr Wochenendhaus im Odenwald und meine bevorstehende Reise nach Warschau und das Thema Kuss für ein Erzählseminar. Die Zahl der Freunde, die mit dem Beruflichen nichts zu tun haben, wächst in den letzten Jahren; man beobachtet einander beim Älterwerden, zieht aber daraus nur den Vorteil, das eigene Alter in guter Gesellschaft zu wissen. Man glaubt sich gegenseitig, dass man jung war, und wer auf jünger machen würde, wäre draußen.
Stippvisite, die Seite des Besuchten. Das Jahr neunzehnhundertneunundsechzig, als mit dem Erreichen des Mondes auch das Hinter-dem-Mond-Sein all derer zu Ende ging, die gedacht hatten, ihr Schweineleben (auf dem Rücken der Schwarzen, der Schwulen, der Frauen, der Armen, der Kinder usw.) würde unbemerkt und damit unangetastet bleiben, hatte ich vom ersten bis zum letzten Tag auf der Schwäbischen Alb verbracht, als Gruppenführer in der 5. Kompanie des 4. Luftwaffenausbildungsregiments. Und das hieß, eine Grundausbildung nach der anderen, erst in der Kälte, dann im Matsch, dann in der Hitze, und Ende Juni kam dem Ausbilder ohne Neigung sein Körper zu Hilfe, der Blinddarm entzündete sich, eine akute Sache, die im nahen Krankenhaus von Mengen behoben wurde, mit der Folge eines fast zweiwöchigen Aufenthalts in einem Zehnbettzimmer in den Tagen der Mondlandung. Es war sehr heiß um die Zeit, ein glühender Frühsommer, und am prachtvollsten dieser Tage bekam der Operierte unerwarteten Besuch. Auf einmal standen seine Schwester und sein Freund am Bett, braungebrannt beide, sie kamen schon von irgendwoher und hatten ihre Reise im grauenhaften Mengen nur unterbrochen. Im ersten Moment überwog die Freude, die Geschwister umarmten sich, und der Begleiter sagte mit besorgter Miene zu dem Bettlägerigen, er würde nicht gerade gut aussehen, mager, blass, beknackt. Dann übergab er ein Buch, eigens besorgt für den Anlass, also geklaut, Ernst Bloch, Aufsätze , und der magere Blasse dankte ihm und dankte auch seiner Schwester für einen Strauß Blumen, während der Besucher schon mit seinen Zigaretten spielte und der Besuchte gegen einen Groll ankämpfte, bis er dann doch die Frage stellte, woher sie gerade kämen und wohin sie noch wollten. Sie kamen vom Bodensee, von einem Trip nach Gaienhofen, ohne das Internat betreten zu haben (die Schwester war dort rausgeflogen, sie hatte bei rotem Licht und Musik Händchen gehalten, die Vorstufe zur Unsittlichkeit, wie die Schweine hinter dem Mond befanden), und man wollte wohl nach Italien – M. drückte sich, wie immer bei Fragen des Verbleibs, etwas unklar aus, murmelte aber das Wort Ravello. Eine halbe Stunde später waren sie weg, und ich setzte mich vor den einzigen Fernseher im Flur, um die schneeigen Bilder vom Mond zu sehen, und das alberne Gehopse erschien mir wie ein Kommentar zur eigenen Lage, nämlich inmitten dieser Sommerpracht ein Soldat mit frischer Blinddarmnarbe zu sein, dessen Jugendliebe gerade alles verraten hatte, was Grund der Kasernierung war. Erst im Genesungsurlaub, der dem Soldaten gewährt wurde, ein gewisses Zurechtrücken der Dinge. Ich traf M. am braven Wörthersee, wo er meine Schwester, die mit unserer Mutter im Urlaub war, besuchte, und wir sprachen in einem Ruderboot, umgeben von Schilf – schon das Schutzschild in der Zeit mit den Apothekertöchtern –,
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