Eros und Asche
Schreiben eröffnet hatte, meine erste abgeschlossene Erzählung über einen Segelnachmittag auf dem septembermilden, schleierigen Untersee, neunzehnhundertfünfundsechzig. In dem Boot mit Namen Xavier die junge Besitzerin (und spätere Journalistin, die im Publikum saß) und ein für sie Schwärmender im selben Alter, nämlich M., sowie der Chronist des Ausflugs als Mitschwärmender. Die kleine Erzählung oder Kurzgeschichte trägt den Titel Nur Segeln , 1995 erstmals veröffentlicht in einem Sammelband ( Nach zwanzig Seiten waren alle Helden tot ). Sie im Ganzen nachzulesen, tat weh; etwas herauszugreifen und langsam abzutippen, tat gut.
»Wie Gäule schnaufen mein Freund und ich nach dem Schwimmen, und das Mädchen lacht und zieht sich den Pullover aus. Dann verteilt sie Kekse. Jedem reicht sie eine Handvoll, und wir legen uns auf den Bauch, nebeneinander, immer noch schnaufend; die Härchen auf dem Schenkel meines Freundes kitzeln mich, die Kekse schmecken nach Advent. Bald höre ich nur noch das eigene Kauen. Mein Freund raucht, und ich atme ein, was er ausbläst. Das Mädchen hält das Ruder, sie schaut über den See, nur ihre Zehen bewegen sich manchmal. Ich weiß nicht, wie lange das alles so ging, doch ich vermute – jetzt, da ich davon erzähle –, daß es nur ein paar glückliche Minuten waren. Der Untersee macht einen ja sonst eher traurig, man muß nur auf die Karte sehen: wie er da am Obersee hängt und nicht ganz klar ist, wo er nun eigentlich endet, der Rhein wieder zum Vorschein kommt. Das Boot steht still, nur wenn wir uns bewegen, schwankt es leicht. Das Mädchen hält weiter das Ruder, ihre Zehen sind nun unter dem Arm meines Freundes, und ab und zu regt sich dort etwas. Unsere letzte Flasche Cola hängt an einer Schnur im Wasser; keiner holt sie heraus, so haben wir das noch vor uns. Wir reden kaum, und wenn einer etwas sagt, dann höchstens zu unseren Sonnenbrillen, welche besser ist, oder zu der Art, wie das Mädchen das Ruder hält – Fast wie eine Hand, sage ich, während mein Freund mir Feuer gibt. Lieber würde ich schlafen anstatt zu rauchen; seit ich von zu Hause weg bin, glaube ich zur Not an den Schlaf. Und auf einmal, ich weiß nicht wie, kommen wir dem Ufer mit der Schule nahe, mein Freund klettert zum Bug, und es sieht aus, als sei ich allein mit dem Mädchen im Boot. Sie zieht den Pullover wieder an, und als ihr Kopf noch nicht ganz aus dem Rollkragen schaut, nur mit Haaren und Stirn, sagt sie zu mir, Danke fürs Mitsegeln.« Hier hätte diese frühe Freundschaftserzählung enden sollen, leider geht sie noch ein paar Zeilen weiter, aber der Ton ändert sich nicht, ein Ton, der mir beim Abtippen (mit ein paar Strichen, aber unter Beibehaltung der alten Rechtschreibung) und dem leisen Nachsprechen der Sätze wie der von M.s ambitionierterer Musik aus dieser Zeit vorkam, dem kühlen und doch sehnsuchtsvollen Samba mit der Stimme von Astrud Gilberto oder der Begleitung in Polanskis Das Messer im Wasser ; es sind im Übrigen auch Erinnerungsbilder wie aus diesem Film, schwarzweiß mit einer Dominanz des Weißen, träge über der Weißglut, die man dem Mitsegler nicht angemerkt hat.
Muttertag – wie man spätestens beim sonntagmorgendlichen Gang zum Bäcker, vorbei an offenen Blumenläden, erkennt; Brötchen für alle und zwei Rosen für U., anstelle der Kinder (die noch schlafen, wie sich’s gehört). Der Anruf nach Rottach-Oberhof, Tegernsee, noch vor dem Frühstück, dann ist es getan, ungern nur deshalb, weil einen der Druck dieses Datums ärgert. Ab einem gewissen Alter der Mütter, allein in ihren Wohnungen mit den Fotos der Toten, ist ohnehin täglich Muttertag, man gedenkt ihrer Einsamkeit und meldet sich; oder meldet sich nicht, aber denkt trotzdem daran und erschrickt, wenn das Telefon zur Unzeit läutet. Und die zu seltenen Besuche bei den Müttern – wenn sie nicht in der Umgebung leben, weil sie ihre eigene, mit den Toten verknüpfte Umgebung vorziehen, wie hart der Winter dort auch sein mag – enden meist mit einem unguten Gefühl, sobald die Söhne wieder ins pralle Leben aufbrechen und sich vorstellen, wie die Mütter zurückbleiben, in der Stille ihrer Behausungen, nur noch in Atem gehalten von den Gebrechen und der eigenen Welt, wie sie sich das Leben der Kinder, von Anruf zu Anruf, neu zusammenreimen; dazwischen ein anfälliger Schlaf, besonders im Anschluss an solche Besuche (oder Stippvisiten seitens des Besuchers), die noch einmal durchgespielt werden im
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