Eros und Asche
wir verabschiedeten uns zwischen Tür und Baum, angeblich musste er noch telefonieren, also ging ich allein hinaus. Und ein paar Wochen später erreichte ihn meine Rache in Form einer Ansichtskarte aus Manila, vorn das schrille Nachtleben der Mabini Road, hinten in wenigen Zeilen eine Art Film-Skizze – ein Mann, der als Fotomodell sein Geld verdient, gerät auf den Philippinen in eine Liebesgeschichte, die ihm alle Masken vom Gesicht reißt, bis er mit seinem wahren Gesicht stirbt.
Beim Rauchen in einem Nachtcafé an der Liberdade: Nicht selten heißt es – und etwas Geringschätziges schwingt darin mit –, meine Romane seien Filmvorlagen. Falsch, eher sind es Filme, die einem beim Lesen vor Augen stehen, eine Verfilmung erübrigt sich, und es kam bisher auch noch nie so weit, trotz manch gezahlter Option. Grund dafür sind die Personen, die immer gut und böse zugleich sind (wie M.), was die nötige Beteiligung des Fernsehens mit seiner Tatort -Mentalität – wackere Polizisten, wackere Bösewichte – ausschließt; zu sehr hat man den Leuten über Jahrzehnte die Leitbilder des Kasperletheaters eingetrichtert, bei dem die Bösen böse sind und die Guten gut. Und letztlich sind damit ganze Biografien entwertet worden, sie taugen nur noch als Beispiel für die Entstehung des Zwielichtigen, Abseitigen, traurig Hilfsbuchhalterhaften; M. hat auch diese Existenzumwertung nicht länger ertragen wollen, in seinem gesuchten Tod liegt eine Verachtung all derer, die sich mit Hilfe des Fernsehens, das ihr nachgeschwätztes Zeug verbreitet, Aufmerksamkeit stehlen – ein Gut, das sich seit den Tagen Pessoas nicht vermehrt hat, aber über das heute mit ungleicheren Waffen denn je hergefallen wird.
Morgens Flucht aus dem Frühstücksraum (vor Handys, Sandalen und Eigeruch) in eine belebte Bar. Im Hotel nur vom Urlaub Betäubte, dazwischen einige Models, betäubt von sich selbst; in der Bar das Kommen und Gehen vor dem Tagwerk. Bis zum Nachmittag Arbeit an der Novelle, und gegen Abend Herr G., Leiter des Goethe-Instituts. Wir nehmen einen Drink im Hotel und besprechen die morgige, von ihm angeregte Veranstaltung, der Autor B. K. und Lissabon, für den Eingeladenen etwas hochgegriffen. Und später dann ein langer Gang durch die Stadt, wie eine letzte Vorbereitung auf die Lesung. Ich rauche im Gehen, die alte Reisekrankheit, ebenso das Notieren, stehend freihändig. Keine zehn Jahre kann man der Stadt noch geben, dann ist es eine wie jede andere, nur auf Hügeln gebaut und daher geeignet für Gassencharme. Eins meiner großen Versäumnisse: M. nicht in den Neunzigern für ein paar gemeinsame Tage hier gewonnen zu haben; ich hätte immer wieder nachhaken sollen, um dann auf einem Termin zu bestehen, statt ihm Jahr für Jahr sein Irgendwann mal durchgehen zu lassen, zuletzt nur mehr ein Murmeln, die Melodie von Irgendwann mal, hustend, lachend, aufgegeben.
Perfektes Wetter, mit dem man kaum Schritt halten kann. Am frühen Nachmittag (M.s Sterbezeit, die Stunde, in der der Tod leichtes Spiel hat) ein Herumstreunen in der Gegend um den Cais do Sodré. In einem schmutzigen Sträßchen, das unter der Rua do Alecrim hindurchführt – unweit eines Ladens mit nautischem Bedarf, den ich nie auslasse, wenn ich im Cais-do-Sodré-Viertel bin, um am Ende nur eine schöne verchromte Klampe oder ein Stück Tau für mein Boot zu kaufen –, in dieser Souterrainstraße, die ich ebenfalls nie auslasse, stehen immer zwei, drei ältere heftig geschminkte Frauen und erschrecken einen, als wären sie Gesandte des Todes; folgt man aber einer durch ein düsteres Stiegenhaus in eine Dachkammer, ist man plötzlich ganz auf der Seite des Lebens, nur noch erschrocken über sich selbst. Einmal habe ich diesen Schrecken erfahren und M. davon erzählt, und er wusste, wovon ich sprach, er kannte solche Schrecken durch die Bücher von Lobo Antunes, auf die er mich ebenfalls schon hingewiesen hatte, als bei uns noch niemand darüber sprach. Die Vögel kommen zurück , diesen Roman konnte er mir am Telefon vorbeten, etwa die Stelle, an der die Großmutter des Helden auf einmal brüllt, sie wolle in ihrem Flügel begraben werden, und das Kind sie mit der bangen Frage betrachtet, ob das wohl immer so sei, wenn es zu Ende gehe. M. will den Chronisten von Hölle und Wahnsinn sogar in Lissabon getroffen haben, von Neurologe zu Neurologe, eine Geschichte, so schön, dass ich sie glauben möchte; hätte also nur noch gefehlt, dass wir unsere Erfahrungen in einen Topf
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