Eros und Asche
auch dieses Ausweichen, als ich auf die Zwei-Frauen-Sache kam. Nach dem Stück Torte und ein paar weiteren Zigaretten, die ich aus Sympathie mitrauchte, dann aber doch ein Aufnehmen des Fadens, den er Jahre zuvor ausgelegt hatte, damit ich ihn fortspinne. Sie hätten es, obwohl dies physisch unmöglich sei, am Ende alle drei zugleich miteinander gemacht, sagte er und ließ sowohl seinen Anteil offen, als auch, was unter dem Ausdruck im Einzelnen zu verstehen sei. Und die Art, wie er seinen Kaffeerest trank, sehr langsam, sehr bewusst, die Hand mit der Zigarette über dem Kopf, der schon halb kahl war, während seine weißgraue Unrasiertheit immer dichter zu werden schien, wie ein Kokon um ein Nest, hielt mich davon ab, irgendeine Frage zu stellen, und er sagte dann nur noch, mit Blick an mir vorbei, es sei mit das Beste in seinem Leben gewesen. Ein weiterer Köder, nach dem der schreibende Freund geschnappt hat.
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Frankfurt nach den Warschau-Tagen – auf der Straße ganz andere, nur noch an heutige und nicht an gestrige erinnernde Menschen (und auch nicht in den Straßen, wie in jener stillen abgewetzten, in der die Schere mit Goldrand gekauft wurde, vor dem Kiosk ein paar Gestalten mit ihren Hunden, die gleichfalls Gestalten waren). Sie erinnern bloß an sich selbst, diese Jüngeren und auch Gleichaltrigen auf den Straßen, höchstens noch an Fernsehfiguren, die sie kopieren oder die, schlimmer noch, nach ihnen kopiert sind, während einem in Warschau (nachdem ich den Kulturpalast verlassen hatte, fast eine Flucht) in einer der Markthallen mit aberhunderten von Kiosken in engen Reihen gleich mehrmals einer wie Gombrowicz oder Lem begegnen kann (desgleichen in Lissabon, wo man Enkeln von Pessoa und Brüdern von Lobo Antunes über den Weg läuft). Und erst die Gestalten hinter den Hallen, zwischen Sex-Shop-Buden, aus dem Boden gestampft wie Favelas: der kleine Schlitzer aus Chinatown und die proletarisch schöne Dichterin Wanda Wasilewskas, nur in anderer Aufmachung. Ein Sichbewegen und Gutfühlen zwischen Gestalten des Lebens, das einem hier fehlt, jedenfalls auf dem Abendgang durch das Bankenviertel und die Goethe-Straße bis zum Opernplatz, wo selbst Hunde wie Erfindungen dieser Tage anmuten, weder bellend noch auf Bäume erpicht, und das Geld, das in erster vorsommerlicher Wärme über die Bistrotische geht, keinerlei Geheimnis umgibt, ganz anders als die Euro- und Dollarnoten, die auf ambulanten Warschauer Märkten wie Zipfel nackter Haut unter dem Mäntelchen der Złotys hervorsehen.
Geld und Geheimnis – früher hatte M. Geld, woher auch immer, die Quelle ließ er im Dunkeln, es zählte auch nicht der Betrag, nur die Andeutung des damit Denkbaren. Aber von einem bestimmten Punkt an war der schreibende Freund bessergestellt, eine Veränderung, die M. nicht verborgen blieb (schon weil ich von da an die Kaffees und den Kuchen zahlte), nur blieb dem Bessergestellten verborgen, dass der anderen von einem bestimmten Punkt an, etwa Ende der Neunziger, von der Hand in den Mund zu leben begann, er hatte auch nie danach gefragt, eins der Versäumnisse, die nur meine waren, nicht unsere. Seit M. nicht mehr als Notarzt tätig war und auch keine Neurologiekurse mehr gab (Kurse, von denen ich erst später erfuhr), also ohne Arbeit und mit leeren Händen dastand, hatte er aufgehört, an die Zukunft zu glauben. Ihm blieb nur das immerwache Zeitgenossesein, er hörte weiterhin das politische und kulturelle Gras wachsen und fand dafür die passenden Worte; und ich dachte mehr denn je, dass an ihm, der nur geheime Briefe an Frauen geschrieben hat, ein Journalist mit Herz und Verstand verloren gegangen war, einer, der weiß, was er ans Licht holt, und warum.
In unserer größenwahnsinnigen Schülerzeitung Hermes , die nicht über ihre Jungfernausgabe hinauskam, hatte M., neben seinen Deutschland-Beitrag (zwei konkurrierende Systeme), auch etwas zu Polanskis gerade angelaufenen Film Ekel geschrieben (»Polanski kommt das Verdienst zu, uns das Schicksal einer jungen Frau in der Leere unserer Zeit zu zeigen . . .«); und für die Ausgabe, zu der es nicht mehr kam, war ein Artikel über die Kriegsfotos von Robert Capa geplant. M. lebte in Capas Szenen der Bewährung, wie Kinder in Märchen, sie entsprachen seiner Sehnsucht nach einer Ästhetik des Männlichen, er konnte darüber reden, als sei er dabeigewesen. Während unser Freund L. – der mich bei M.s Beerdigung, die in eins meiner privaten Erzählseminare fiel, vertreten
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