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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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nicht aus dem Kopf (und ist dort noch immer: Ich sehe M., lächelnd und mit Handtuch um die Hüften, zwischen der Anästhesiehelferin und der nichts als Jungen, eine seiner schmalen Hände an deren abfärbend weißem Hintern, aber nur mit den Kuppen, so, wie man in Museen manchmal scheu ein Gemälde berührt).
    Zurückhaltung und Verlangen, das alte klösterliche Gemisch. M. war, in meiner Erinnerung, nie vulgär, er war ein diskreter Erkunder des dunklen Gebiets; sein Sammeln von Pornografischem war wählerisch, nicht enzyklopädisch. Was ihn in seiner Wohnung umgab, war das Ergebnis einer Suche nach dem Absoluten, bis er den inneren Raum auf alle äußeren Räume ausgedehnt hatte – heute nur noch in der Erinnerung derer, die sein Bernsteinzimmerreich gesehen haben. Nach meinem einzigen Besuch (kaum begreiflich, dass es dabei blieb) hatte ich bei erster Gelegenheit – ein Jahr lang telefonierten wir nicht, bis er plötzlich nachts anrief – gesagt, eine solche Wohnung müsse man in einem Fotoband festhalten, aber M. gab Büchern dieser Art schon in den frühen Neunzigern keine Chance mehr. Und so sprachen wir über die wachsende Schwierigkeit, noch irgendetwas außerhalb des Leichten unter die Leute zu bringen, ohne sich zum Idioten zu machen. Er brachte dafür alle möglichen Beispiele, es war eins unserer längeren Telefonate, über zwei Stunden saß ich am Küchentisch, mit Stift und Papier. In M.s Augen verließ man den Boden geistiger Keuschheit bereits, wenn man für etwas trommelte, das seinem Wesen nach leise war, für einen Roman oder guten Film. Er sah schon damals die mafiose Allianz zwischen der Bild-Zeitung , einem Boulevardgeschwätz im Fernsehen und denen, die für ihre Vermarktung von Überflüssigem Scheinskandale oder gar selbstinszenierte Missgeschicke anbieten, und hatte Sorge, dass der Freund nach seinem Bucherfolg ( Infanta ) in dieses Fahrwasser geraten könnte. Und den Einwand, ich sei im Grunde viel zu negativ, um in dieser vorhergesagten Allianz – die ja heute M.s Vermutungen längst übertroffen hat – eine positive Rolle spielen zu können, unterzog er gleich einer Prüfung, indem er nach meinem damals noch kleinen Sohn fragte, als sei die Vaterliebe oder der Familiensinn, also letztlich steigender Geldbedarf, die Fußangel, in der sich ein Autor früher oder später verfängt. Und noch etwas wurde im Laufe dieses langen Gesprächs festgehalten: der Wunsch, die Freundesbücher mögen auch weiterhin das Risiko wohlüberlegter offener Flanken eingehen, auch wenn es diese Leute gebe, die lieber gleich zuschnappten, statt zu fragen, warum die Flanke?
    M.s Bernsteinwohnung, inzwischen renoviert und weiter vermietet. Wenn aber der schreibende Freund das nötige Geld gehabt hätte (durch mafiose Allianzen), wäre dieses Lebenswerk von ihm übernommen worden, ohne auch nur einen Zettel oder ein Foto darin zu verrücken oder zwischen den Bücherstapeln andere Wege als die vorhandenen zu schaffen. Er hätte es zur Dauerausstellung gemacht, als beredtes Zeugnis einer geistigen Existenz im ausgehenden letzten Jahrhundert, für alle Schulklassen auf Berlinfahrt neben dem Mauermuseum und den Preußischen Kunstschätzen dritte Pflicht.
    Der Kulturpalast von Warschau, ein Marmorraum mit Messekojen, die gewohnte verbrauchte Luft, als würden die Bücher mitatmen. Der Rundgang führt den Autor auch am Stand seines alten Verlags vorbei, ein Mitarbeiter winkt etwas schüchtern, vages Gefühl von Wehmut (das Herrenlossein wurde durch jedes in diesem Haus erschienene Buch aufs Neue und Beste vertuscht). Ein Blick auf die Werke des Kollegen T., der an glühend-stillen Augusttagen in der Villa Massimo, Rom, gegen seinen Kummer und gegen mich Tischtennis gespielt hat, ein Gegner, der erst bei zwanzig-zwanzig Zeichen von Nervosität zeigte – er scheint in dem Verlag ein Zuhause gefunden zu haben. Aus dem Foyer über Lautsprecher die Eröffnungsreden der beiden Staatsoberhäupter; und im Gedränge vor dem noch zugedeckten Buffet der bekannte Autor des Stellvertreters , der im Alter durch seinen noch scharfen Blick an den Schauspieler Eli Wallach erinnert ( Zwei glorreiche Halunken ). Man hört den Bundespräsidenten sagen, dass diese Buchmesse dazu beitrage, die Sichtweise des jeweils anderen zu bereichern, in diesem Sinne äußert sich dann auch sein Kollege. Die Reden ziehen sich etwas hin, und die linke Hand – bis Mitte der Siebziger sehr geschickt darin, drei Bücher zugleich unter einen Mantel zu

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