Eros und Asche
daraus auch etwas Wahres wurde.
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Das Wetter bessert sich endlich nach langem Winter und einem durchwachsenen Frühling, man möchte irgendwem dafür danken, so sehr hat man sich danach gesehnt, und im südöstlichen Alpenraum, wohin der Dankbare heute für einen Tag fliegt, soll das Wetter bereits bestens sein. (Erinnerung an den Duft der Planken in einer hölzernen Badeanstalt im Österreich der fünfziger Jahre; an das Rot eines Krachels, wie der Kindersprudel hieß, an seinen eisig perlenden Geschmack, als enthalte die Flasche das eigene Jauchzen; an die Schönheit der nur murmelkleinen wilden Himbeeren mit ihrem Pelz, weich zwischen den Pflückfingern, und der Freude, wenn ein winziges Tier aus dem Inneren kroch, weggepustet, bevor die Beere auf der Zunge zerging.)
Graz, der erste Frühsommertag, Notizen unter blauem Himmel an einem Café-Tisch in der Spargasse beim Hotel Erzherzog Johann, wo früher die Gelage des Steirischen Herbstes waren und trinkfeste Schülerinnen sich den Autoren trickreich genähert haben, ebenso angezogen von der Literatur wie von einem durch österreichische Blätter ins Starhafte emporgehobenen Frühruhm, den alle Schriftsteller aus dem Nachbarland genossen. Man schwebte sozusagen durch den Steirischen Herbst, und Billets, unter der Zimmertür durchgeschoben, waren kein Traum zu früher Morgenstunde. Und in der leicht ansteigenden Spargasse an diesem ersten warmen Nachmittag unzählige junge Frauen, alle telefonierend; jede Minute könnte man sich neu verlieben, und es fällt nicht schwer zu begreifen, dass die erwähnten Zeiten vorbei sind. Aber Lesungen finden immer noch statt, sonst wäre der Autor nicht hier, und heute ist es eine Lesung im Rahmen eines Themas. Es geht um das Ich, als ging’s nicht immer darum, der Begriff adelt das Wort (dessen Kürze in den meisten Sprachen darüber hinwegtäuscht, wie viel damit gemeint ist; und sparsamer Umgang beim Schreiben mit dem Wort Ich kann auch eine Form von Täuschung sein). Abends dann ein überraschend volles Literaturhaus mit drei Vortragenden. Den Anfang macht ein Professor und Sachbuchautor, der angenehm nüchtern neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung präsentiert. Nach ihm liest eine junge Kollegin etwas über einen hinfälligen Mann; und schließlich der immer noch Dankbare (auch weil die Augen nicht streiken) mit einer alten Erzählung über die Angst vor dem Verlust, Die Einsamkeit der Haut (»Ich war in der Form meines Lebens, und keiner konnte mich sehen.«). Der Tag endet mit Nachrichten aus dem Hotelzimmerfernseher. In Bayern ist ein Bär aufgetaucht, vermutlich aus dem Trentin. Er habe schon drei Schafe gerissen und sei, wie die zuständigen Stellen sagten, außer Rand und Band.
Rückflug nach Frankfurt entlang der Alpen (die der Bär überquert hat, und die ich morgen im Auto überqueren werde, auf dem Weg zu meinem unversteckten italienischen See, mit dabei der Sohn und drei Freunde, die in unserem Haus feiern wollen, bevor dort ein Seminar stattfindet). Neben mir ein Paar, saurierhaft der Mann – weiße Koteletten, und ein Anzug mit Fantasieschnitt, aus dem er schier platzt, Manschettenköpfe mit Initialen – vor sich Papiere, wie sie von Anwälten kommen; und die bedeutend jüngere, aber auch nicht junge Begleiterin – blass geschminkt, schwarzes Haar –, in einem Gewand, als gehöre sie einem snobistischen Orden an. Sie reden Wiener Dialekt, die Variante der Gutgestellten (die Mutter meiner Mutter, das Ömchen, war eine Wiener Opernsängerin); und trotz dieser Eigenheit kommt der Sitznachbar und Autor nicht umhin, in dem Paar auch eine Variante seines einstigen Verlegers und dessen jetziger Witwe zu sehen. Beide hatten mich, vor gut zehn Jahren, in meiner Schreibwohnung besucht. Den Anfang machte der Verleger, und sozusagen mit dabei war sein Sohn, um dessen ungeregelte künftige Stellung im Verlag es ging; also war auch die damals Noch-nicht-ganz-Ehefrau anwesend, des weiteren die Geister verstorbener Autoren, die der Verleger als Ratgeber in dieser Sache zitierte. Und einige Zeit später kam die schon nicht mehr echte Kollegin des Autors, weil mehr schwarze oder weiße Eminenz des Verlags, je nach Gewand, und ließ, kaum dass der Freund des Sohns zum Vater/Sohn-Thema kam, einen Eisernen Vorhang herunter, als würde ihre angestrebte Bühne schon lichterloh brennen. Danach war meine Zeit auf dieser Bühne innerlich beendet. Der Verlag hatte als Nobilitierungshaus (für Ältere auch Reinwaschungsstätte
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