Eros und Asche
gewünscht (er vielleicht auch); was sie bekommen hat, war Innigkeit: eine, die sie bei keinem so gefunden habe. Und oft sei von mir die Rede gewesen – schon damals hatte er die Idee, ich könne eines Tages den Roman über uns schreiben. Und Portugal, fragte ich, waren Sie mit ihm dort? Zwei Wochen, sagte sie, davon eine in Lissabon, die intensivste Reise, an die sie sich erinnern könne. Und wann? Sie holte einen alten Jahresplaner, sie nannte das Jahr, ich nannte ihr den Monat – September. Ja, sagte sie, hat er das erzählt? Das hatte er nicht, aber ich war zur selben Zeit dort, weil nichts über Lissabon im September geht, und bei allen späteren Besuchen gab es immer den Moment, in dem ich meinte, ihn irgendwo von weitem gesehen zu haben, mit seiner Fototasche um die Schulter, Zigarette im Mund, und dabei hatte ich ihn wohl damals gesehen und meinen Augen nicht getraut. Sie hätten unendlich viel miteinander geredet, sagte die Ärztin noch, Tag und Nacht, und er hätte unglaubliche Fotos in Lissabon gemacht, nur immer ohne Menschen. Und wie ging es dann kaputt? Eine Frage, die sie nicht überraschte, so wenig wie mich die Antwort. M. hatte sie um ihren Golf-Diesel gebeten, er wollte damit nach Polen, angeblich um Fotos in Auschwitz zu machen, nicht die erste Bitte um ihre Dinge, aber die erste, die sie ihm nicht erfüllt hat, weil daran irgendetwas zu viel war, und danach hat sie nie mehr von ihm gehört (eine seiner Fluchten wie die vor meiner Schwester, über die ich versäumt habe mit ihm zu reden). Und M.s platonische Liebe, mit einer leicht gebremsten, defensiven Stimme, ähnlich wie die der Gefährtin, sprach dann von einem regelrechten Entzugsgefühl in der Zeit danach; immer habe sie auf einen Anruf gewartet, jahrelang. Sie erzählte das ohne Groll und war auch schon wieder bei M., der sie eine Woche in ihrem abgelegenen schwedischen Haus besucht habe, erst voller Abneigung, dann voller Zuneigung für diese Art Urlaub. Und ihre Vermutung über seine Todesursache? Ein Vorstoß am Ende des Gesprächs, nur hatte sie keine Vermutung oder wollte keine äußern, dafür nannte sie den Namen eines Freundes von M. und mir, der vielleicht mehr wüsste (R., der hustende Arzt – alter Gauloises-Raucher und alter Cellist mit neurologischer Praxis in Berlin, wir hatten schon im Knabenchor des Winnetou-Kantors nebeneinander gestanden), und ich fragte sie noch, ob sie irgendetwas über den Vierzigsten ihres früheren Kollegen sagen könnte, aber sie wusste nicht einmal, an welchem Tag M.s Geburtstag war; er hatte ihn totgeschwiegen, als sei er nie geboren worden.
Der Morgen von einer Reinheit, dass selbst Rottach-Egern sein Fett verliert unter all dem Blau. Gegen neun kommt die Mutter per Taxi zum Frühstück (alles geht hier nur mit Taxi, jedes Lokal, jeder Laden ist schon außerhalb ihrer Bewegungsfreiheit). Und auch das Frühstück ist dann wieder nicht ganz so einfach; die Tischdecke blendet, das Salz ist verschwunden, das Ei ist zu heiß, sicher nicht abgeschreckt – und der kleine Eimer für den Tisch, wo ist der? Fragen über Fragen. Wir wechseln den Platz, nun sitzt sie im Schatten, aber zieht es da nicht vom Fenster? Wahrscheinlich ja, und ich nehme ihren Arm, letztlich Heilmittel gegen alles, und so frühstücken wir zu Ende, siamesisch, und gehen dann zum Wagen, während ihr Taxi schon wartet. Ich umarme sie, so fest es ihr Körper verträgt, wobei der Geist sicher mehr wollte, wäre da eine liebende Hand und nicht nur die Hände der Kinder. Wir verabschieden uns, auf dem nächsten Weg nach Süden werde ich wieder vorbeischauen, die Mutter winkt mir, bis ich um die Ecke biege. Dann geht es langsam am Wasser entlang, vorbei am Gymnasium Tegernsee, einem schönen alten Bau, und der Fahrer beneidet die dortigen Schüler um ihre Umgebung oder vermeintliche Unbeschwertheit darin. Und auf der Autobahn ein Gasgeben, zum ersten Mal seit dieser Wagen angeschafft wurde das Austesten, bis der Motor sich selbst bremst, ein verrücktes auf Frankfurt Zurasen. Erst hinter Nürnberg ein Stau, der sich irgendwann auflöst, doch nur vorübergehend; der Fahrer – in Gedanken ganz woanders, bei einem Septemberabend im alten Chiado-Viertel, Lissabon, noch vor dem Großbrand, er am unteren Ende der Rua Garrett, mit Blick zu einer Liberia in Richtung des Fahrstuhlturms, davor ein Mann mit Zigarette, der die Auslage fotografiert, ein nur herzschlaglanges Bild, bis sich eine Gruppe von Schwarzen davorschiebt –, dieser
Weitere Kostenlose Bücher