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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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durch die Zweige der Weiden am Neckar beschien, und M. drückte meinen Arm vor Glück über diesen Moment, und ich erwiderte den Druck – wie viele Jahre später, als er mir seine Fotos aus Polen zeigte, mit Weiden voller Rauhreif in gebrochenem Licht, von einer Sonne, die weder aufging noch versank, die entschlusslos über dem Horizont hing, als scheinbar erloschene Sonne, wie Hölderlin im Turm, und er ebenfalls meinen Arm drückte, wohl um mich mit in diese Tiefe zu holen.
    Samstag. Das Wetter hält, als gäb’s doch einen Fußballgott, auch wenn er nicht in die Spiele eingreift, in göttlicher Gleichgültigkeit. Erst gegen Mittag der Aufbruch, die Fahrt auf der Uferstraße bis Garda, dann über die Hügel zur Autobahn, allein im Wagen, ein ungewohntes Fahren, und weiter auf der alten Königsstrecke, an der Etsch entlang und später am Inn, quer durch die Alpen. Am Ende geht es noch über den Achenpass ins Kreuther Tal hinunter, momentane Station für den Bären aus dem Trentin, wie man hört, und Endstation für etliche Alte aus allen Ecken des Landes (die Mutter meiner Mutter, das Ömchen, starb dort, nach dem letzten Auf Wiedersehen hat sie sich einfach zur Wand gedreht, und der Besucher ging durch die toten Flure davon).
    Gegen halb vier dann die Mutter in ihrer Wohnungstür in einem Appartementhaus mit ungenutztem Rasen und Hecken gegen Blicke, die es nicht gibt. Sie sieht gut aus für einundachtzig, aber sie fühlt sich nicht so gut. Wir sitzen in ihrer bayerischen Ecke, wir trinken stilles Wasser, wir reden über die Enkel, ein behutsamer Anfang in den mütterlichen vier Wänden. Mit ihrem zweiten Mann hatte sie diese Wohnung über viele Jahre als Sommerlösung, und nun ist es die Alterslösung für eine alleinstehende Frau, die früher regelmäßig geschrieben hat, Bücher, in denen das Gute von Sieg zu Sieg eilt, die anderen Trost gaben und wohl immer noch geben. Sie glaubt an das Gute, der Sohn an das weniger Gute, aber darüber reden wir nicht. Wir reden über ihren Alltag, und schließlich fahren wir zu dem Hotel, in dem ich übernachte, dem Kirschner im fetten Rottach-Egern. Wir gehen ins Restaurant, dem besten im Ort, die Mutter führt den Sohn aus, schon seit Tagen ist ein bestimmter Tisch reserviert, der Kellner bringt eine Decke, von irgendwoher zieht es immer. Wir essen Lamm, wir sprechen jetzt über ihr Leben, nur will sie das gar nicht, sie will keine Einmischung, und sie hat recht, es steht mir nicht zu, ihr Ratschläge zu erteilen. Sie ist mit sich selbst am ehesten beraten, auch wenn andere das übersehen. Der Sohn fährt die Mutter nach Hause, und dort unterhalten sie sich noch eine Stunde, eine Stunde, für die beide dankbar sind. (Es ging weder um sie noch um mich und schon gar nicht um uns beide, es ging um irgendetwas anderes, sogar um Fußball; ich habe ihr zugehört und sie mir auch; gegenseitiger schlichter Respekt ist sicher das Schwerste zwischen Eltern und erwachsenen Kindern – in dem Fall einer Mutter, die nur eine Angst hat, nämlich hinfällig zu werden, den Rest einer Freiheit, für die ich blind bin, zu verlieren.)
    Ein beendeter Abend, ein angebrochener Abend. Im noch frühjahrskühlen Doppelzimmer der Fernseher ohne Ton, die Stunde der Experten nach dem Spiel; der Hotelgast sitzt auf dem Bett, unter beiden Decken, vor sich das Telefon und sein Notizbuch, darin die Nummer einer Ärztin aus Berlin. Ich rufe bei Frau Doktor R. an, von der die Gefährtin erzählt hat, sie sei mit M. in Portugal gewesen, während er mit mir durch Kolumbien gereist sein will. Nach einigen Sekunden wird am anderen Ende abgenommen, ohne Hast; irgendwie kann man es hören, oder glaubt es gehört zu haben, sobald sich jemand ruhig meldet. Ich nenne meinen Namen, und sie weiß sofort Bescheid. Ah ja, sagt sie, und wir reden, bis es kein angebrochener Abend mehr ist. Die Experten sitzen längst beim Bier, es läuft noch ein Boxkampf ohne Ton. Frau Doktor R. war M.s platonische Liebe. Sie hat mit ihm zusammen die neurologische Poliklinik in Steglitz geleitet, er war dort als Assistenzarzt, Dr. P. in der Funktion eines Oberarztes, etwa von dreiundachtzig bis neunundachtzig, dann war sein Vertrag ausgelaufen und er hätte innerhalb der Uni-Klinik die Hochschullaufbahn einschlagen müssen, für ihn der Anlass zum Ausstieg. Für seine Patienten war er ein Idol, jenseits aller Hierarchie, und für seine Kollegin R. war er ein Freund; die beiden haben nie zusammen geschlafen, aber sie hat sich diese Nähe

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