Eros und Asche
Geräusch der eigenen Schwimmzüge im Wasser; traumartig dieser ganze Abschnitt, besonders wenn plötzlich eine kleine Möwe parallel zum Fels fliegt. Später ein Essen in Gargnano, und bei halber Dunkelheit – der Mond blass über dem See – geht es zurück, begleitet von Pavarotti aus der neuen Anlage. Zu dritt machen wir das Boot an der Boje fest und schließen die Plane; zu dritt sitzen wir auch im Schlauchboot und rudern über das glatte Wasser. Das Auto der beiden ist beim Yachtclub geparkt, also rudern wir bis zum Yachtclub; und dort läuft Salsa-Musik, ohne dass jemand tanzt, nur zwei Kellner stehen herum. Aber kaum ist das Ärztepaar aus dem Schlauchboot gestiegen, beginnt es schon auf den Kacheln, die bis ans Wasser reichen, zu tanzen. Die beiden zeigen, was sie in einem Kurs für ältere, vom Kinderjoch befreite Paare gelernt haben – nicht immer zu ihrem Besten, denn seitdem gibt es in der Wohnung über uns auch gelegentlich Streit beim Üben der Schritte, doch in dieser Nacht gelingt ihnen alles, einschließlich Rumba. Und die zwei Kellner wundern sich über das einem Schlauchboot entstiegene Tanzpaar und dessen Begleiter mit Sonnenbrille, der sich wie ein mitreisender Coach Notizen macht, nur nicht zu Haltung und Ausdruck, sondern zur Freundschaft – gegenüber den beiden in dieser Stunde ein rundherum gutes, mildes Gefühl, so milde wie das Mondlicht; und im Hinblick oder Rückblick auf M. eine immer offenere Frage, seit die Kolumbien-Geschichte geplatzt ist, eine, die andere Fragen nach sich zieht.
Hatte er sich das ausgedacht, um H. zu beeindrucken oder sich selbst? Oder war es eine der Geschichten, um sich vorzustellen, wie wir einander beigestanden hätten als Geiseln im Urwald oder gar mit den Entführern über kurz oder lang gemeinsame Sache gemacht hätten? Früher war er immer wieder mit solchen Parabeln gekommen, die im Grunde doch mit Wahrheit zu tun hatten – wir beide im Spanischen Bürgerkrieg, gefangen von den Faschisten, wir beide im zusammengebrochenen Prager Frühling, unter dem Druck der Sowjets: Wer hätte was für wen getan und ertragen? Also die Frage, bis zu welchem Grad man befreundet war; das Internat konnte in M.s Augen darauf keine ausreichende Antwort geben. Das Schlimmste war dort der Rausschmiss, ein Consilium abeundi , das hätte man für den anderen, falls es ihn erledigt hätte, noch auf sich genommen. Was aber wäre man, zum Schutze des anderen, in einem Polizeistaat, unter der Folter und mit Todesandrohung, auszuhalten bereit gewesen? Ernste Fragen waren das zwischen uns, keine Späße. Und die Nagelprobe war dann der mitertragene Gang zu dem katholischen Elternpaar, um die Schwangerschaft einer der Töchter als gemeinsame Tat zu gestehen; das Schweigen dieser beiden Leute, nachdem das Ungeheure heraus war, der Apotheker mit der Faust im Fell des Dackels, während seine Frau ihre Fingerknöchel gegeneinander rieb und M. mit dem Knie wippte, war auch eine Art Folter in dem Wohnzimmer voll schwerer Möbel, darunter die tickende Standuhr, leiser Herzschlag der Schande. Und bei jedem Zurückdenken an diese Nagelprobe kommt ein neuer Splitter dazu, etwa wie M. den Teller mit Keksen fixierte, der auf dem Tisch stand, und die Apothekerin diesen Teller plötzlich in seine Richtung verschob und er nur kurz abwinkte. Und am Ende hätte er doch beinahe zugegriffen, mit Blick auf den Dackel, um wenigstens das Tier durch Kekse auf seine Seite zu bringen, nur war es unnötig, dem Skandal noch eine Lächerlichkeit hinzuzufügen.
17
Der Hausberg auf der anderen Seite in der Morgensonne, wieder mit einer kleinen einzelnen Wolke, die vor der bewaldeten Flanke schwebt; der See dunkelblau, von Albisano herunter Glockenläuten – ein Frühsommerstrahlen wie in der Schwarzwaldkindheit, wenn’s an einem Junitag schon vor der Schule zum Freibad ging. Auch die Freunde sind früh wach, sie wollen nach Vincenza. Also ein Schreibtag; doch das Paar kehrt bereits am Nachmittag zurück, es hat nur bis Verona gereicht, dafür wurde wieder fürs Abendessen gesorgt, diesmal kein Experiment. Es gibt venezianische Leber, und später zeigen mir die beiden, was ein Walzer ist. Sie gleiten über die Terrasse, sie schweben und fliegen – mit einem staunendem Zeugen, der sich erinnert, wie er mit seinem Internatsfreund einst die Tanzschule der Frau Örtli besucht hatte, die ihre Kurse abends im Speisesaal abhielt, dem Albrecht-Dürer-Saal, der nur AD-Saal hieß und noch heißt, mit seinem
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