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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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traurige, immer noch brennende Gerichtsreporterin P. P., die den Autor begrüßt und wegen der Hitze eigentlich nicht bleiben will, aber dann doch bleibt, zum Glück, denn es bleiben nicht alle, fünfzig etwa, die meisten älter und darum hellhörig, als ich von früher anfange.
    Schon vor fünfundzwanzig Jahren, als der Autor hier zum ersten Mal las, fühlte er sich einerseits deplatziert, in einer Art Fremde, und andererseits unter seinesgleichen, wenn man den Sinn dieses Worts etwas weiter spannt. Er war am falschen und zugleich am richtigen Ort, einer Wahlheimat wäre zu viel gesagt, aber einer Gegend, deren Dialekt ihm lag, mit Orten jenseits aller Orte – damals an kritischen Tagen, in den toten Nachmittagsstunden, konnten das Kinos oder Videokabinen sein; niemand wusste dort von einem, ja, man selbst wusste nicht einmal mehr, wo man war, in den Bildern oder davor. Eine Suche nach Momenten der Wahrheit inmitten von Gestelltem, nach dem einen Blick oder Laut, dem zu trauen war. Und immer noch ist da eine Sympathie mit denen, die das Laster anstelle des Ichs setzen; oft lieben sie das, was Menschen verschlingt, mehr als die Menschen selbst, aber sie wissen es und leiden darunter usw. – ein etwas lang geratenes Grußwort; danach die Lesung, im Anschluss ein Essen. Und zum Abschied schenkt der Leiter des Männerschwarm-Verlags dem Autor ein Buch aus seinem Programm, Hervé Guibert, Verrückt nach Vincent (Guibert, 1955–1991, keiner der klassisch Modernen wie Genet oder Baldwin, aber einziger seiner Generation, den ich verehre, siehe Legenden um den eigenen Körper ); im Hintergrund Argentinien–Mexiko.
    Auf der Mailbox noch keine Nachricht von der Psychologin, die sechs oder sieben Jahre an M.s Seite war, bis Mitte der Achtziger, um ihn dann über Nacht zu verlassen, wie er sonst über Nacht Menschen verlassen hat; offenbar ist das Kapitel für sie abgeschlossen oder zu schmerzlich, um darüber reden zu wollen. Dafür eine andere Nachricht aus Berlin, von H. – sie sei mit dem Maler, der ihr die alte Wohnung gestrichen habe, beim Fußball gewesen, er habe geflirtet wie die Sau, sogar ihr Fahrrad geschoben! Vor einer Bierbude mit Tischen im Freien höre ich das, nachts in St. Georg; die Männergruppe vom Essen ist noch in ein Männerlokal gegangen, der Gast wollte lieber allein sein (oder lieber nicht mit), er sitzt an einem der Blechtische, vor sich das geschenkte Buch. Es gibt eine Parallele zwischen M. und Guibert, neben der des zu frühen Todes – beide haben, mehr oder weniger im Verborgenen, fotografiert, jeder mit dem Blick für eine Schönheit, die den meisten entgeht, weil sie entweder gar nichts sehen oder es für belanglos, ja für hässlich halten. Die Parallele endet beim Mut – Guibert war in den Mut verliebt, ein junger Mann voll kindischer Stärken, waghalsiger als M. es war (der sich niemals Aids geholt hätte), ein schwuler Draufgänger, zum Äußersten bereit in der Liebe, während M. zwar das Riskante gesucht hat, ihm aber im letzten Moment elegant auswich. Während unserer Teneriffa-Flitterwochen zwischen Schulzeit und Leben im Spätsommer achtundsechzig (M. hatte noch knapp siebenunddreißig Jahre vor sich), gingen wir eines Mittags an einen damals völlig einsamen schwarzsandigen Lavastrand mit hohen Wellen. In die etwas weniger hohen warf M. sich hinein und tauchte unter ihnen hindurch, mich aber traf eine der großen, stieß mich ein Stück vor sich her und stürzte über mir zusammen. Ihre Masse drückte den umgerissenen Körper flach auf den Grund, und als das Gewicht gerade nachließ, kam schon der Rücksog und die Panik, dass hier und jetzt das Leben ende. Nur warf mich dann die nächste Welle in ihrem Wirbel an den Strand, ohne Badehose, als purzelnden Körper, fast bewusstlos in meiner Erinnerung, spuckend und aufgelöst, und der Freund tat sein Bestes, er sprach mich an, und da war eine Hand, die den Kopf stützte, und das erste, was ich sah, war sein Lachen, Signal zum Weiterleben. Dann aber kam er damit, dass er unter dieselbe Welle geraten sei, eine Lüge, und beschrieb mir, wie er sie genommen hatte, und was überhaupt in hohen Wellen zu tun sei, während ich immer noch spuckte, statt seine Tat zu kommentieren. Kein Wort von mir, worauf er versuchte, mich zum Sprechen zu bringen, erst in vernünftigem Ton, wie bei Verhören vor den schärferen Maßnahmen, dann in einer Mischung aus Ärger und Sorge, bis ich mit Sand in den Händen durch sein Haar fuhr und wir uns beide,

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