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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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überführt, wie jeder Liebende, der die Gesten des anderen nicht voraussehen kann, der sich beschämt fühlt, wenn etwa in einem Hotel die Nelke, die nur dem Frühstückstisch Farbe verleihen soll, feierlich überreicht wird anstelle eines Bouquets (nie hätte ich diese Art Lagerung der Briefe, sozusagen weich zwischen Beine gebettet, für möglich gehalten und doch war es so).
    Wir gehen noch etwas im Freien trinken, Moccabar, Gneisenaustraße, lauter Nichtstuer beim Kaffee, aber nicht von der Münchner Sorte, Nichtstuer wider Willen. Wir reden kaum noch, wir sitzen da und rauchen, bis es Zeit wird für den Zug. H. fährt mich zum Bahnhof, sie sagt, wie sehr ich sie an M. erinnere und doch wieder nicht. Ich sei auch einer, der auf Schönheit aus sei, aber keiner, der andere in seine Sicht mit hineinziehe, nur durch Bücher, die man kaufen könne oder nicht. Und ich sei besessen wie M., aber weniger keusch, eben einer, der schreibe. Außerdem gebe es diese Ähnlichkeit, im Halbprofil, nur wirke mein Mund weicher – und dann berührte sie den Mund mit zwei Fingern, und bevor sie noch mehr sagen konnte, brachen im neuen Hauptbahnhof die Gesänge ganzer Hundertschaften über alles herein; heute Nachmittag Deutschland–Schweden.

22
    Zugfahren und Erschöpfung, ein und dasselbe an Tagen wie diesem, mit einer Sonne so glühend nah, als seien schon alle schützenden Schichten dahin; auch keinerlei Dunst in diesen zwei Mittagsstunden zwischen Berlin und Hamburg, das flache Land nichts als Licht, und der Reisende, hinter halb heruntergelassener Jalousie und einer Sonnenbrille, die den Blindenbrillen im Stadttheater gleicht, würde gern schlafen, aber dafür ist es zu heiß. Es reichte dann nur zum Dösen, mit allen Gefahren des Dösens, Sekundenträumen, Bildern vom Autofahren, die Beifahrerin in heller Wäsche, Bildern vom Meer oder dem unversteckten italienischen See, voll weißer Wellen, Bildern von Bildern (M.s Collagen?), und in wacheren Momenten halbe Gedanken und Fragen – die Asche von M., eher grau oder schwarz?, und wie sie sich anfühlen würde zwischen den Fingern, flockenartig oder wie geschälte Haut nach dem Sommer, und was mag aus dem Ravello-Foto geworden sein, dem wir beide, H. und ich, aufgesessen sind wie dem Dokument eines Schwindlers, dessen Schwindel aber mehr von Herz erfüllt war, als alles, was nachweislich Hand und Fuß hat.
    Ravello. Schon bei unserem ersten Abtasten am offenen Fenster hatte ja M. diesen Namen als Köder und Fangfrage in einem aus der Tasche gezogen, ich sollte darauf fliegen, und ich sollte davor verstummen, oder, falls ich dort je schon war, mich als Bruder im Schönen bekennen. Er selbst war, ehe wir Freunde wurden, wohl nur einmal dort gewesen, natürlich mit den Eltern, und dennoch oder gerade deshalb brachte er es fertig, von Ravello wie von einem Traum zu reden, den er geträumt hat und wieder träumen würde. Also sprach er auch von sich, sobald er damit anfing, oder besser gesagt, von einem idealen Bild seiner selbst, festgehalten auf dem erwähnten Foto, das er eines Abends nach den Sommerferien wortlos auf sein Klappbett gestellt hatte: die kleine Kirche, weiß und rein an der Bergkante hoch über dem Golf von Amalfi, das romanische Glockenfenster wie ein Fenster zur Ewigkeit: seine Idee von Schönheit und Liebe zwischen Himmel und Erde, ein Stück sakrale, abstrakte Schönheit, letztlich wohlfeil wie Mädchenbrüste.
    Hamburg, ein kleines Schwulenhotel in villageartiger Umgebung, St. Georg, Sex-Shops, Türkenlokale, Fahnenverkauf; und im Zimmer ein winziger Fernseher, halb an der Decke. Es ist drückend heiß, und der eingeladene Autor sitzt nackt auf dem Bett und verbessert sein Grußwort für die Männerbuchhandlung, die am Abend ihr Jubiläum feiert, ein paar Striche und zwei Ergänzungen bis zum Spielbeginn. Und dann fällt es nicht leicht, allein vor einem Taschenfernseher die nationale Sache ernst zu nehmen, selbst das zwei zu null nach zwölf Minuten ändert daran nichts. Nach dem Spiel ein Fußweg durch die Lange Reihe, eine Straße, die man zusammenfalten möchte, um sie mitzunehmen nach Frankfurt (kein Handy-Shop, kein Schlecker-Markt, kein Wäschegeschäft etc.); und vor dem Buchladen, den man auch gern mitnehmen möchte, weil es viel zu wenig solche Läden gibt, mit Büchern für Körper und Geist, schon ein Andrang von Männern zwischen vierzig und sechzig, aber wegen des Jubiläums, nicht wegen der Lesung; einzige Frau weit und breit ist die kleine,

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