Eros und Asche
halb ringend, in die Schaumausläufer der Wellen rollten und dort mit Schlamm beschmierten, die Wangen, die Hüften, den Hals, dabei schon ein Zurückrollen in den Sand wie in schwarzes Paniermehl, und ich fing an, ihn einzugraben. Immer noch nackt, blutend an Schultern und Rücken von den Muscheln, über die mich der Sog geschleift hatte, schob ich mehr und mehr Sand über seine Beine und Arme, über den Bauch und die Brust, ohne dass er sich wehrte; er schloss sogar die Augen. Und am Ende kniete ich auf der warmweichen Aufschüttung, aus der bloß noch sein Kopf hervorsah, um den ausgelieferten Mund zu bestreuen, und M. verzog keine Miene, als mir der schwarze Sand durch die Finger lief, ein stummes Spiel, über Minuten wenn nicht länger. Oder hätten wir sonst beide einen Sonnenbrand davongetragen, der eine im Gesicht, der andere am Hintern?
Sonntagmorgen, im Zug nach Frankfurt, als einziger im Großraumwagen, auf dem Schoß Verrückt nach Vincent . Guibert erzählt von einer körperlichen Besessenheit in rückwärts laufenden Tagebucheintragungen, vom Ende zum Anfang; literarische Anstrengung und Sujet halten sich bei ihm meist im Gleichgewicht. »Vincent und ich haben ein Gutteil dieser Nacht dem Bemühen gewidmet, ihn mir reinzudrücken. Das erinnerte mich an unsere jugendlichen durchwachten Nächte zu zweit, die allerersten, als die Sinnlichkeit noch stärker war als die Erschöpfung, als die vergebliche Suche nach Lust erhebender war als die Lust selbst, und wo die Körper begannen, einen eigentümlichen Duft auszuscheiden, einen Dunst jenseits der Sexualität, einen Schweiß des Absoluten.«
Und warum gerade diese Stelle? Sie zeichnet die Grenze von der vollzogenen zur unvollzogenen Liebe und verwischt sie zugleich, sie ist Glut und Asche in einem; M. hatte immer das Absolute gesucht, sein Sammeln war ein Ausdruck dieser endlosen Suche, auch um den Preis, eine Liebe dabei zu verlieren und letztlich das Leben; denn er wollte das Absolute ohne den Schweiß, die für ihn sauberste Lösung, bis hin zur Feuerbestattung.
Abends mit dem Sohn vor dessen Riesengerät das Spiel Portugal gegen die Niederlande, eine Hitzeschlacht. Nachts endlich dann Gewitter; und auf dem Küchentisch, der längst ein Büchertisch ist, die alten Briefe an M. – ein Blick auf die ersten Zeilen, dann landen die Briefe in einer unteren Lade, der Lade mit den Tagebuchheften aus den letzten Internatsjahren. Etwas Vergebliches haftet diesen Briefen an, sie sind nicht Teil einer Korrespondenz, wie erhofft, sondern singuläre Schreiben und dabei letztlich nur Variationen zweier Sätze, Ich denke an dich und Mir geht es gut (selbst wenn alle Umstände dagegen sprachen). Aber dieses Denken war weitgehend leer, es war nur das ferne Wiederauftauchen eines einstigen Zuhörers, dem der Schreibende von den Philippinen oder aus Somalia erzählt hat, im Grunde nach Art eines Liebesbriefs, in einer Sprache, die den anderen zu einer Antwort verpflichtet, der Antwort, die nie erfolgt ist, weshalb es auch so schwerfällt, die alten Briefe nachzulesen, als gleichsam Versetzter.
Meldung Nummer eins in den morgendlichen Radionachrichten: Bär Bruno sei tot – und der Hörer weiß nicht, was ihn mehr ekeln soll, diese Namensgebung (von welcher Seite überhaupt?) oder die Tatsache, dass Jäger in den Morgenstunden, zur Hinrichtungszeit, im Gebiet Spitzingsee den Bären außer Rand und Band erschossen haben. Es ist der Verlust eines tierischen Freundes. Seine Spur war das Bewegendste, das sich in letzter Zeit durch die Nachrichten zog; der Bär, der allen entkam, immer schneller als die Verfolger, der seiner Gattung keine Ehre machte und die Schafe nicht einmal aufaß – ein einsamer Grenzgänger wie M. es war, mal hier und mal dort, ein Tier inmitten seiner mörderischen Pubertät, von Jägeridioten abgeknallt, nachdem die Vergrämung, wie es offiziell heißt, nicht gelungen sei.
Tagsüber Notizen und Arbeit an der Novelle. Und am Abend die Nähe zu einer echten Tragödie: Ein Mädchen, mit dem unsere Tochter zum Hundetraining geht, ist von der Straßenbahn überfahren worden und tot, die Nachricht kam als Mail. Die Tochter, dreizehn, sitzt starr auf dem Bett, sie weint kaum, sie atmet nur heftig, ihr Fernseher läuft ohne Ton. Bis heute war der Tod nur bei zwei alten Katzen vorgekommen, als Erlösung, sein wahlloses Zuschlagen kannte sie nicht. Der Vater steht vor dem Bett, und ihm fällt nichts Tröstendes ein, also zieht er sich wortlos zurück.
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