Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
wiederum ohne weiteres, alle schwarzweiß, die Bilder einer scharfen Braut, schamlos nur in ihrer Intelligenz: kühle Pornos, aber man könnte auch versteckte Liebesbeweise sagen. Erst als alle Fotos gemacht waren, hat er sie in Venedig, nach x Museumsbesuchen, verführt, erfährt der Betrachter der Fotos – sie, die vorher noch nie in einem Museum gewesen sei, bloß auf indischen Treppen gesessen habe. Das war seine Italiennummer, sagt der frühere Freund, die hat er schon als Schüler in Rom durchgezogen. (Und später sagte H. noch, bevor sie dem Gast mit Nachdruck ihr Bett überließ und auf das schwarze Sofa auswich: Ich habe zu viel auf Treppen gesessen.)
    Eine kurze Nacht, stickig, unruhig, fremd. Und um sechs ist alles hell, es gibt noch keine Vorhänge; gegen sieben scheint die Sonne auf die Collagen, der Freund des toten Künstlers stellt sie um. Später ein Frühstück auf dem Hofbalkon, Kaffee, Brötchen, Salami, es fehlt an nichts, der Gast soll sich wohl fühlen. Und sein Sterben, frage ich, wann fing das an? Keine gute Frage morgens um acht, aber H. gibt sich Mühe; ein Reden und Zuhören im prallen Licht, der eine mit dem Kopf zur Wand, die dunkle Brille auf den Augen. In seinen letzten Monaten, als das Sterben anfing, hatte M. mehr Musik gehört als gelesen, Nacht für Nacht den Sänger Antony, der ihm aus dem Mark sang. Und er hatte sich zurückgezogen, um zu rauchen, er wollte mit seiner Zigarette allein sein, wie früher auf dem Schulklo. Dann zwei Spätsommerwochen in der Waldhütte bei seinem See, die tägliche Ausfahrt, das tägliche Staunen; und die letzten anderthalb Tage, Freitag, Samstag: ein Sterben in bewussten Schritten. Am Freitag noch das Rudern, die Aschenbach-Fotos, Amalgam aus Ernst und Erschöpfung; dabei manchmal ein Blick ohne Sonnenbrille in die Sonne, die Zigarette in einer sinnlosen, auf dem Trödel erstandenen Spitze am Mund. Schließlich der Samstag, das Urlaubsende. Vormittags ein Einkauf im nächsten Ort und er zum ersten Mal – zum ersten Mal überhaupt im Leben – in einem Trainingsanzug unter Menschen, dem Anzug, in dem er die kühlen Nächte verbringt, ein Umhergehen zwischen den Regalen wie im Halbschlaf. Und mittags tatsächlich noch etwas Schlaf, sogar schnarchend, friedlich, wie man sagt. Gegen zwei sein üblicher schwarzer Kaffee, während im Radio eine Kindersendung läuft, man irgendwie zuhört, weil eigentlich die morgige Rückfahrt zu besprechen wäre, auch sachte angesprochen wird, von ihr. Und um vierzehn Uhr zehn jäh das Vornüberkippen des Kopfes. Nach und nach rückt H. mit alldem noch einmal heraus, nur viel genauer im Laufe unseres Frühstücks in schon sengender Sonne; und auf einmal schien sie auf etwas völlig anderes zu kommen, M.s alte Schönheitssucht, die ihm das Leben am Ende wohl mit zur Hölle gemacht hat. Ganz am Anfang ihrer gemeinsamen Jahre habe er sie buchstäblich auf das Foto einer kleinen Kirche gestoßen, einer weißen Kirche zwischen Himmel und Erde in einem Ort mit dem Namen Ravello. Und von Zuhörerseite die Ergänzung der Geschichte, bis uns die Hitze in die Wohnung treibt.
    Ein schwieriges Leben, das an dem Waldsee zu Ende ging, aber auch ein überschaubares, mit zyklischen Bildern, mit wiederkehrenden Antworten. Ich frage nach Briefen, und die einstige Gefährtin geht durch das Chaos, das M. hinterlassen hat. Irgendwo müssen noch welche in einer Tüte sein, sagt sie, und ihre nackten Arme verschwinden in einem Karton. Sie gräbt darin, wie andere in goldhaltigem Boden, dann kommen zwei Koffer an die Reihe, dann nochmals Kartons. Offenbar verfolgt sie eine bestimmte Spur, Schweißperlen im ganzen Gesicht; sie sieht nur in Kartons und Koffer, die im Schlafraum stehen, und plötzlich schwenkt sie eine Plastiktüte, hochrot im Gesicht von der Hitze. Die Tüte wird über dem Bett ausgeleert, und es findet sich, zwischen den Briefen meiner Schwester – unverkennbar ihre Schrift auf den Kuverts –, auch ein Brief des Freundes, getippt auf seiner kleinen Olympia; und wie versehentlich in die Tüte gelangt und mit herausgefallen, liegt da noch ein altes Magazin mit Fotos von der Sorte, die M. gesammelt hat, und zwischen den Seiten, nur halb versteckt, meine drei Briefe aus den USA, den Philippinen und aus Somalia – getrocknete Blätter in einem Album. H. dreht mir eine Zigarette, sie steckt sie an und nennt mich Glücklichen Finder. Aber der Finder ist eher überrascht oder ertappt als glücklich: fast einer gewissen Dummheit

Weitere Kostenlose Bücher