Eros und Asche
die man bekanntlich nicht anfassen kann.
Am Wochenanfang ein Mittagessen mit einem alten Freund und früheren Lektor in der hochsommerlichen Stadt, das erste Treffen seit der Staroperation und den Folgen. Der Autor erzählt, was in dem Zusammenhang erzählt werden muss, dann interessieren ihn die neuesten Turbulenzen in seinem Ex-Verlag, und der alte Freund macht einige Bemerkungen in den Grenzen der Diskretion (die ich an H. U. so schätze), einer Tugend, ohne die man gar nicht erst anfangen sollte als Lektor. Anschließend berichtet der Autor von seinen Reisen im vergangenen Monat und erwähnt die Notizen als Ersatz für die Arbeit am Bildschirm. Der langjährige Wegbegleiter aber sieht schon die Umrisse eines Buchs und weiß die richtigen Fragen zu stellen; sein loyaler Wegbegleiterwille und das Wohlgesonnene für ein Manuskript, bei nicht bestechlichem Ohr: die unscheinbaren Eigenschaften, die ihn groß machen.
Nachts im Bett Ennio Flaianos Alles hat seine Zeit , der Roman, der auch beim dritten Wiederlesen noch hält. (Anfang Kap. 8 – »Es gab zu viele Vögel in den Bäumen, die rings um die Hütte standen. Ihr unaufhörliches Gekrächze hinderte mich sogar daran, zu erwachen, und stürzte mich immer wieder in einen qualvollen Halbschlaf, aus dem ich erschöpft zu mir kam.«) Ein Lesen bei offenen Fenstern, aber auch Durchzug ändert nichts an der Hitze; aus der Wohnung der Sprachschüler heute kein Lärm. Und in der ungewohnten Stille für einen Moment der Gedanke oder die aberwitzige Hoffnung, das Telefon könnte klingeln und am andere Ende M.s Räuspern vor seiner knappen Begrüßungsformel, und dann mehrmals ein halblautes vor mich Hinsprechen dieser Formel mit seinem Namen und ein Erschrecken darüber, wie gut ich die Freundestelefonstimme in Erinnerung habe und nachmachen kann, bauchrednerhaft; auch ein Gekrächze, aus dem Baum der Erinnerung.
Beständige Sommerglut wie eine Herausforderung an die eigene Beständigkeit. Weiteres Durchblättern der ausgepackten Bücher, besondere Freude über eine kleine alte Ausgabe von Rot und Schwarz sowie Eichendorff in der Reihe Die Bücher der Rose ; außerdem Mörike, Gesammelte Werke , im alten Insel Verlag, und Rilkes Brigge in zwei Bänden, Leipzig 1919. Vor allem aber Roths Radetzkymarsch , das abgewetzte gebundene Exemplar, das jahrelang zwischen M.s Plattenspieler und seiner Kameratasche vor dem Kopfende des Bettes stand, in Gesellschaft von Sartres Ekel und Nietzsches Zarathustra (und im Übrigen war es M., der mich in unserem ersten gemeinsamen Jahr, er fünfzehn, ich vierzehn, darüber aufgeklärt hat, dass, wann immer in den Schulgottesdiensten, die wir besuchen mussten, mit warnendem Unterton der Name Nietzsche fiel, nicht unser verschrobener Hausmeister Nietsche gemeint war). Es droht auseinanderzufallen, das alte Joseph-Roth-Buch über den Zerfall der k. und k. Monarchie, als lebten die Sätze in jeder Seite, ich wage kaum darin zu blättern, wie damals, als ich es ohne zu fragen an mich genommen hatte, um den Anfang zu lesen, stehend zwischen unseren Klappbetten, damit es sich schnell wieder hätte einreihen lassen, wäre die Zimmertür aufgegangen. Er lieh mir das Buch dann aus, mit gewissen Auflagen, wie ich es behandeln sollte (keine Knicke in die Seiten, keine Flaschen darauf abstellen), und ich betrat die Welt des jungen Trotta. Und später hat mich der Roman als Taschenbuch durch meine Zeit als Ausbilder begleitet, neben einem gänzlich anderen Buch, das mir M. vor der Einberufung geschenkt hatte, einem Hurrawerk über die Green Barretts, darin eine doppelt unterstrichene Widmung (einzige Widmung neben der in dem Plattenalbum), »Was uns nicht umbringt, macht uns noch härter – halt die Ohren steif, wenn es nachts mit Gewehr in die Kälte geht, M.«
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Vor dem Spiel Deutschland–Italien, Halbfinale, noch ein Augenarzttermin. Der Arzt leicht zerstreut, die Folgen der Gesundheitsreform lassen ihm keine Ruhe. Dennoch sieht er dem Patienten mit Hilfe der üblichen Tropfen und aufgestülpter Linsen tief in die Augen und kommt zu dem Ergebnis, nichts mehr für ihn tun zu können, abgesehen von einer Überweisung in die Klinik – eine weitere Operation könne zum Beispiel den Augenhintergrund säubern, nur habe die Klinik eigentlich kein Interesse mehr an neuen Patienten, wegen der Reform. Und jede weitere Operation bedeute auch ein weiteres Risiko, fügt er hinzu und greift zu seiner Teetasse, die immer bereitsteht, wie auch in den
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